1970: Als der Lobau der Heilige Zorn zu Hilfe kam

Am 20. November 1970 wagte sich in Wien die Sonne nicht hinter den Wolken hervor und es hatte etwa sieben Grad Celsius. An diesem Tag entschied sich das Schicksal der von Industrie- und Straßenbauprojekten bedrohten Lobau:

Bei einem Treffen in Wien-Floridsdorf kam es zwischen Naturschützern und Vertretern der Stadt zu einem Eklat, der im Team der Naturschützer den Heiligen Zorn zum Lodern brachte.

Er trieb sie zum Sammeln von Unterschriften und zur Entwicklung einer Bürgerinitiative, der es wenige Jahre später gelang, mit medialer Unterstützung die Wiener Stadtregierung dazu zu bringen, die Lobau unter Naturschutz zu stellen.

Vor diesem 20. November hatten die Lobauschützer den Willen zum konsensualen Gespräch, sie bemühten sich um Argumente und hofften auf Einsicht. Wiens Repräsentanten zeigten ihnen allerdings lächelnd die kalte Schulter. Das wollte man von da an nicht mehr länger hinnehmen.

Wie kam es dazu? Was war an diesem Tag geschehen?

Die Verbündeten der „Aktion zur Rettung der Wiener Aulandschaften“ trafen sich im Haus der Begegnung in Wien-Floridsdorf mit Vertretern des Forstamtes zu einem Gespräch – in Anwesenheit von Journalisten der „Presse“ und der „Wiener Zeitung“.

Für die Rettung der Wiener Auen (Lobau und Prater) engagierten sich die Zoologen Peter Weish, Hans Martin Steiner, Josef Vornatscher, Alfred Radda und der Zoologie-Student Franz Luttenberger.

An ihrer Seite saßen der Vorsitzende des Niederösterreichischen Naturschutzbundes Erich Czwiertnia, der Schriftleiter des Wiener Naturschutzbundes Karl Kolar und der Naturschützer Hans Kinnl, dem es 1958 gelungen war, die in der Lobau geplante Großraffinerie nach Schwechat umzuleiten.

Missionschef war Anton Klein, Polizist und Obmann des Aquarienvereins „Zierfischfreunde Donaustadt“.

Ihnen gegenüber saßen die Repräsentanten der Stadt: Forstdirektor Herbert Tomiczek und seine Begleitung – als Abgesandte des Wiener Bürgermeisters Bruno Marek.

Anton Klein beim “Tümpeln”

AM ANFANG WAR DER WASSERFLOH

Anton Klein war im Namen der Wiener Aquarienfischliebhaber seit geraumer Zeit in großer Sorge, weil die zahlreichen Tümpel, in denen die „Aquarianer“ Wasserflöhe und anderes Plankton als Futter für ihre Pfleglinge fingen, nach und nach zugeschüttet oder vermüllt wurden.

Im Zuge dessen richtete sich Kleins Aufmerksamkeit auch auf die Lobau: 1969 schrieb er an den Bürgermeister einen beunruhigten Brief und wurde von ihm am 17. Juli im Rathaus persönlich empfangen. Klein versuchte, Bruno Marek von der Bedeutung der Tümpel zu überzeugen und ersuchte ihn, die „verlandenden Ausstände und Tümpel in der Lobau“ zu schützen und den Zierfischliebhabern zu gestatten, dort hin und wieder Plankton zu fangen.

Marek gab sich zwar wohlwollend, verwies die Aquarianer aber an den Magistrat. Was sie in der Folge hören sollten, waren (Zitat Klein) „ablehnende Antworten und leere Versprechen“.

Im November 1969 veranstaltete Anton Klein deshalb mit seinem Aquarienverein zum Thema Tiere-Pflanzen-Tümpel einen öffentlichen Fotowettbewerb und versuchte auf diese Weise (vorerst vergeblich), auch die Kronen-Zeitung für sein Anliegen zu interessieren.

Das Verlanden und Zuschütten der Tümpel – schrieb Klein an die „Krone“ – würde zum Absinken des Grundwasserspiegels führen und „die Erhaltung unserer heimischen Tier- und Pflanzenwelt“ gefährden.

So vergingen die Monate und das Rathaus blieb tatenlos.

Im Mai 1970 berichtete Anton Klein zum Thema Tümpel-Rettung an den Verband der Österreichischen Aquarien- und Terrarienvereine:
„Es wurde uns versichert, dass die Regelung Zeit erfordern wird. Wir sehen das ein, aber wenn zu viel Zeit vergeht, dann werden wir Tümpel nur noch auf Bildern sehen.“

Die „Zierfischfreunde Donaustadt“ dachten nicht daran lockerzulassen. Es ging ihnen inzwischen nicht mehr um die Tümpel allein, sondern um die Landschaften, in denen diese besonders häufig zu finden waren: die Lobau und den Prater. Sie holten junge Wissenschaftler an Bord, formulierten einen Forderungskatalog und brachten am erwähnten 20. November 1970 mit Vertretern des Magistrats endlich ein Treffen zustande.

ATOMKRAFTWERK IM LANDSCHAFTSSCHUTZGEBIET

Was die Natur betrifft, hatte es das Jahr 1970 übrigens in sich: Es wurde vom Europarat zum „1. Europäischen Naturschutzjahr“ erklärt.

Was Wien nicht davon abhielt, im gleichen Jahr eine Fläche von 175.000 Quadratmetern des Landschaftsschutzgebietes Lobau in Industriegebiet umzuwidmen, um hier ein kalorisches Kraftwerk zu errichten, das bis 1979 zu einem Atomkraftwerk (!) umgestaltet werden sollte.

Dazu kamen ein geplantes Autobahnkreuz über der Panozza-Lacke und eine, die Obere Lobau zerstückelnde Bundesschnellstraße.

Die Stimmung war also aufgeheizt. Die Botaniker trauerten auf der Fläche des neuen Kraftwerks um „eine der letzten Wiener Orchideenwiesen“, die Zoologen und Aquarianer um „vielbelebte Tümpel“.

Peter Weish (ORF Screenshot)
Anton Klein (ORF Screenshot)

Als man im Haus der Begegnung Floridsdorf endlich mit den Wiener Beamten am Tisch saß, zeigte Klein zunächst die besten, von seinen Sympathisanten für Fotowettbewerbe geschossenen Bilder.

Die erwartete Begeisterung blieb aus. Zitat: „Obwohl die Fotos einen nachhaltigen Eindruck von der Schönheit der Lobau und deren beginnender brutaler Zerstörung vermittelten, zeigte sich Wiens Forstdirektor offensichtlich in keiner Weise beeindruckt.“

Zu allem Überfluss wies Forstdirektor Tomiczek die wiederholte Bitte Kleins zurück, die Wiener Aquarienliebhaber doch in der Lobau ihr Plankton fangen zu lassen. Die Tümpler, so argumentierte Jäger und Schalenwild-Experte Tomicezk, würden das Wild beunruhigen.

Dann überreichten die Naturschützer ihr Forderungspaket:

  • Schaffung eines unabhängigen, nicht weisungsgebundenen Naturschutzbeirates der Stadt Wien, in dem Biologen, die über ökologische Erfahrungen verfügen, die Mehrheit besitzen sollen.
  • Sofortiger Stopp jeder Ausbreitung der Erdölindustrie, der Hafenanlagen, der Pumpwerke, der Durchleitung neuer Hochspannungsleitungen und Pipelines in der Lobau.
  • Teile der Lobau sollen zu Vollnaturschutzgebieten erklärt werden (Anm.: Die Lobau war damals nur Landschaftsschutzgebiet)
  • Die Augebiete dürfen nicht in Parkanlagen umgewandelt werden. Ihre Altwässer und Tümpel sollen in einem ursprungnahen Zustand erhalten werden. Ein Schrumpfen des Augebietes ist mit allen Mitteln zu unterbinden. Gegen jede Müllablagerung und Aufschüttung sind strenge Schutzmaßnahmen zu ergreifen.
  • Verbot der Verwendung von Bioziden im gesamten Stadtgebiet.

SCHWERER FEHLER: LOBAU ALS BLINDDARM

Nachdem Josef Vornatscher, Peter Weish, Alfred Radda und Franz Luttenberger ihr Verlangen erläuterten, ergriff Herbert Tomiczek das Wort und er gelangte – wie Anton Klein festhielt – „sinngemäß zu folgender Feststellung: Die Lobau reicht wie ein Blinddarm in den Raum von Wien hinein.“

Damit war das vermeintlich konstruktive Gesprächsklima zerstört. Klein: „Man muss kein studierter Psychologe sein, um zu erkennen, wie wenig dem Herrn Forstdirektor am Schicksal der Lobau gelegen ist. Die Lobau mit einem Blinddarm zu vergleichen, spricht Bände.“

Anschließend hielt Tomiczek fest, die Lobau bzw. Teile der Lobau seien ohnehin bald bestens geschützt, weil sie zu ‘’Wasserschutz-Gebieten“ erklärt würden. Gleichzeitig verkündete er jedoch – so wird berichtet – „ungerührt“ ein neues Industrialisierungsprojekt im Bereich des Donau-Oder-Kanals.

(Anm.: Aus heutiger Sicht vermutlich in Zusammenhang mit der im Bundesstraßengesetz 1971 vorgesehenen Schnellstraße durch die Obere Lobau nach Groß-Enzersdorf)

Karl Kolar vom Wiener Naturschutzbund konnte sich nun nicht mehr zurückhalten, wurde emotional und bezweifelte heftig Tomiczeks Behauptung, die Lobau werde ohnehin ausreichend geschützt. Der Forstdirektor bestand darauf, Kolar das Wort zu entziehen. Gesprächsleiter Vornatscher ließ Kolar jedoch weiterreden. Tomiczek sprang auf und „verließ wutentbrannt den Saal“.

Anton Klein notierte: „Nicht Genügend in Demokratie. Mit Dipl. Ing. Dr. Tomiczek verließ auch seine halb- oder ganz uniformierte Begleitung den Saal.“

Empört erweiterte Klein später in einem Essay den Text des berühmten Liedes „Drunt‘ in der Lobau“:

 „In meinem Herzen brannt ein Sehnen, aus meinen Augen fielen Tränen, am stillen Waldrand, wo plötzlich ein kalorisches Kraftwerk stand. (Refrain) Drunt’ in der Lobau, mitten im Landschaftsschutzgebiet. Drunt’ in der Lobau im Europäischen Naturschutzjahr.

In der Wiener Zeitung fasste Redakteurin und Augenzeugin Johanna Frick am 25. November 1970 das Geschehen folgendermaßen zusammen:

„Eines ist fraglos sicher: Die größte Schwierigkeit bei jeder Aktion zur Erhaltung der Wiener Aulandschaft liegt in jenen Emotionen, die sich in beinahe alle Auseinandersetzungen über dieses Thema einschleichen. … Echter Naturschutz und damit Schutz des wertvollen Erholungsraumes im Wiener Stadtgebiet und entlang der Donau ist nur auf der Basis kühler wissenschaftlicher Überlegungen und sachlich geführter Diskussionen durchführbar.“


DAS JAHR DES FRUSTES

Am Abend dieses 20. November waren Anton Klein, seine Bundesgenossen und die jungen Wissenschaftler verärgert, aber im Grunde zutiefst frustriert. Das Rathaus hatte ihnen demonstriert, dass Naturschützer in Wien als Splittergruppe betrachtet werden, denen die Politik keine Bedeutung zumaß.

Frust und Enttäuschung waren so groß, dass im darauffolgenden Jahr 1971 weitgehend Funkstille herrschte. Kleins Leute begannen zwar zaghaft für die Rettung der Lobau Unterschriften zu sammeln, konzentrierten sich aber im Großen und Ganzen wieder auf ihre Aquarien und ihre Forschungen. Auch in der Presse geriet die Lobau in Vergessenheit.

Es mag am 17. November 1971 gewesen sein, als der unterdrückte Heilige Zorn der Naturschützer wieder zutage trat: An jenem Tag verkündete die Rathauskorrespondenz die Konstituierung eines „Umweltbeirates“.

Den Lobau-Schützern und Zoologen muss diese Ankündigung wie eine Verhöhnung erschienen sein, denn anstelle des von ihnen vor einem Jahr vorgeschlagenen unabhängigen, mehrheitlich von Biologen besetzten, nicht weisungsgebundenen Naturschutzbeirates wurde ein „Umweltbeirat“ unter totaler Kontrolle der mit absoluter Mehrheit regierenden Wiener SPÖ etabliert: mit dem Bürgermeister als Vorsitzenden, mit fast allen amtsführenden Stadträten, dem Magistratsdirektor, der Arbeiterkammer, dem SPÖ-geführten Sozialministerium, dem Gewerkschaftsbund, sowie der Wirtschaftskammer, der Industriellenvereinigung, der Ingenieurkammer und – als Feigenblatt – der Akademie der Wissenschaften.

Anton Kleins Leute im Aquarienverein

Der im Wiener Naturschutzgesetz seit 1954 vorgesehene „Naturschutzbeirat“ war seit Jahren praktisch nicht existent und wurde erst 1975 wiedererweckt – klarerweise unter dem „unabhängigen“ Vorsitz von SP-Umweltstadtrat Peter Schieder.

Zwei Monate später, im Jänner 1972, betraten die Naturschützer energiegeladen erneut die Bühne der Politik: Sie sammelten nun intensiv Unterschriften, mehrere Zehntausend sollten es werden, sie organisierten Führungen, Diavorträge und Arbeitskreise.

SIEG AUF ALLEN LINIEN

Schließlich erlangte Anton Klein bei einem Fernsehauftritt zum Thema Lobau am 16. Juli 1972 österreichweite Bekanntheit.

Er wurde von Fernsehdirektor Helmut Zilk tatkräftig begünstigt, verbündete sich fortan noch enger mit dem Naturschutzbund und dem WWF, korrespondierte mit Bundeskanzler Kreisky, erhielt Unterstützung von Deutschlands berühmten Tierprofessor und Oscar-Preisträger Bernhard Grzimek und erfreute sich nun auch der massiven Unterstützung der Kronen-Zeitung.

Die Stadtregierung wurde medial zusehends an die Wand gedrückt und kapitulierte: Die noch nicht verbauten Teile des umgewidmeten Industriegebietes wurden in Landschaftsschutzgebiet rückgewidmet. Der Bau der Autobahn und der Schnellstraße durch die Obere Lobau wurde abgesagt und das Versprechen gegeben, die Lobau zum Naturschutzgebiet zu erklären – was 1978 auch geschah.

Ein Nebeneffekt: Der Naturschutz war in Wien nichtssagend beim Kulturamt (MA 7) beheimatet. Im Zuge des medialen Aufsehens wurde er ab November 1973 der neugegründeten Magistratsabteilung 22 „Umweltschutz“ zugeordnet.

DAS ERFOLGSREZEPT: KEINE SEKUNDE GEBEN WIR NACH

Norbert Sendor

Anton Kleins Mitstreiter, der Naturfotograf Norbert Sendor, beschreibt die Stimmung, in der Wien mit Hilfe des ORF und der Kronen-Zeitung schachmatt gesetzt werden konnte:

„Oft, wenn wir gut im Rennen waren, hat Klein gesagt: Nein, da geben wir nicht nach! Wo vom Bürgermeister oder so ein Kompromiss vorgeschlagen wurde, hat er gesagt: Nein, wir wollen das Ganze, keine Sekunde geben wir nach!“

Die innere Wut über die Geringschätzung und Missachtung durch die Stadtregierung und deren Abkömmling, der sprichwörtliche Heilige Zorn, hatte das Unmögliche möglich gemacht: Eine Handvoll Leute „aus der Mitte der Gesellschaft“ zwang der Stadt in Sachen Naturschutz eine neue Denkweise auf.

 

Quellen:

  • Klein, Anton (1969); Brief an die Kronenzeitung, 14.11.1969 (Kopie)
  • N., N. (1970): Alarm um Lobau und Wiener Prater. In: Die Presse, 24.11.1970
  • Frick, Johanna (1970): Schutz für die Wiener Aulandschaften. In: Wiener Zeitung, 25.11.1970
  • Sch., W. (1970): Wien soll Atomkraftwerk erhalten. In: Die Presse, 28.11.1970
  • Klein, Anton (1971): Forderungsprogramm der Aktion zum Schutz der Wiener Aulandschaft. In: Das Steckenpferd 1/1971 (S. 18-20)
  • N., N. (1971): Beirat für Fragen des Umweltschutzes konstituiert. In: Rathauskorrespondenz 17.11.1971
  • Klein, Anton (1972): Lobau-Report
  • Czeike, Felix (1995): Naturschutzreferat der Stadt Wien. In: Historisches Lexikon Wien, Band 4 (S. 356), Verlag Kremayr & Scheriau

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