Wien 1975: das letzte größere Hochwasser nach altem Muster

Zwischen 1. und 6. Juli 1975 erlebte Wien das letzte größere Donau-Hochwasser bevor 1988 entlang der Donauinsel das sogenannte Entlastungsgerinne (heute „Neue Donau“) in Funktion ging.

An der Wiener Reichsbrücke stauten sich die Schaulustigen. Die gewaltige Wasserfläche erstreckte sich über die gesamte Fläche des historischen Überschwemmungsgebietes und reichte vom Handelskai bis hinüber an den Schutzdamm vor Kaisermühlen. In der Sprache der Hydrologen war es dennoch ein “Mittleres Hochwasser”, genauer gesagt, ein HQ 19 (= 19-jährliches Hochwasser).

Am 2. Juli 1975 betrug der Abfluss der Donau am Messpegel Kienstock in der Wachau – laut einer Tabelle des Bundesministeriums für Klimaschutz – 8.800 m³/Sekunde. Zum Vergleich: Das verheerende hundertjährige Hochwasser vom August 2002 hatte in Kienstock einen Abfluss von 11.305 m³/Sekunde (HQ >100).

Es war wie üblich nicht nur die Donau allein, welche die Stadt Wien durch massive Fluten in Bedrängnis brachte:

„Im Wienfluss werden 160 Kubikmeter pro Sekunde gemessen. Normale Durchflussmenge: drei Kubikmeter. Die Feuerwehr ist schon im Einsatz im 14. Bezirk beim Rosenbach sowie auf der Exelbergstraße, wo an der Beseitigung mehrerer Muren gearbeitet wird. Im Bereich von Oberlaa ist der Liesingbach aus den Ufern getreten und dadurch sind einige Straßen unpassierbar. Das Grundwasserwerk Nussdorf musste von den Wasserwerken gesperrt werden.“ („Rathauskorrespondenz“ vom 2. Juli 1975)

Der Bereich des Handelskais am rechten Donauufer war – wie so oft in den Jahrzehnten davor – knietief überschwemmt. Am 4. Juli hatte das Wasser die Kraft, zwei Container Richtung Ungarn davonzutreiben, die im Bereich der städtischen Kühl- und Lagerhäuser am Handelskai 269 abgestellt waren.

Die „Rathauskorrespondenz“ meldete: „Sie wurden daraufhin von der Polizei angeschossen und geflutet. Die Feuerwehr war mit zwei Booten unterwegs, um die Container zu bergen.“

Das Juli-Hochwasser 1975 war das stärkste Donau-Hochwasser im Zeitraum zwischen den katastrophalen Fluten im Juli 1954 und jenen im August 2002.

Der Schaden betrug in Wien damals mehr als 15 Millionen Schilling (Inflationsbereinigt im Jahr 2023: zirka 4,4 Millionen Euro).

Besonders betroffen waren Gewerbebetriebe im Bereich des Handelskais und der Innstraße im 2. Bezirk, wo vor allem Kellerräume und Magazine überflutet wurden. In Simmering hatten in Kaiser-Ebersdorf 25 Gärtnereibetriebe und Gaststätten Schäden zu beklagen. Im 19. Bezirk und in der Kuchelau wurden Siedlungshäuser und Schrebergärten verwüstet.

Screenshot Video: LINK

Eine Folge der Geschehnisse war die Entscheidung der Wiener Stadtregierung, endlich eine schon länger im Rathaus diskutierte und von der Opposition eingeforderte Katastrophen-Einsatzzentrale einzurichten.

Ein bisher unveröffentlichter, 3 Minuten langer Amateurfilm aus dem Archiv des Lobaumuseums zeigt den überschwemmten Handelskai zwischen Mexikoplatz bzw. der alten Reichsbrücke (Einsturz erst 1976) und der alten Floridsdorferbrücke (Neueröffnung 1978).

Originalfotos: Michael Pekar

 

Quellen:

  • Tabelle „Hochwasserereignisse“ des Bundesministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie https://www.bmk.gv.at/themen/verkehr/wasser/hochwasserschutz/ereignisse.html
  • Hohensinner, Severin (2015): Historische Hochwässer der Wiener Donau und ihrer Zubringer. In: Materialien zur Umweltgeschichte Österreichs ISSN 2414-0643
  • fk/bs (1981): Die Donau steigt weiter an. In: Rathauskorrespondenz 21. Juli 1981
  • Die Verwaltung der Stadt Wien: Berichtsjahr 1975
  • hs (1975): Groß-Container abgetrieben. Rathauskorrespondenz 4. Juli 1975
  • rp (1975): Wasserstand bei Reichsbrücke um 19 Uhr 7 Meter. In: Rathauskorrespondenz 2.Juli 1975

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