Vor etwa 15 Jahren sollte im 22. Wiener Gemeindebezirk, am Kleehäufel, ein Wasserwerk entstehen, in dem das Grundwasser aus den vielen Brunnen der Lobau für die Stadt Wien zuverlässig aufbereitet und somit für die Zukunft beständig verfügbar gemacht werden sollte.
Daraus ist nichts geworden. Das ist einerseits eine politische Detektivgeschichte, andererseits möglicherweise das Todesurteil für die Lobau.
Denn das vom Wiener Rathaus jahrelang groß angekündigte, angeblich lebensnotwendige Projekt “Wasserwerk Kleehäufel” wurde nach abgeschlossener Planung, nach erfolgreich abgewickeltem Architektenwettbewerb und nach bereits getätigten Millionen-Investionen um das Jahr 2005 plötzlich und stillschweigend verräumt. Warum das geschah, ist nach wie vor rätselhaft [hier die Details] – angesichts der drohenden Austrocknung der Lobau hatte diese Entscheidung jedenfalls schicksalshafte Bedeutung.
Wäre diese Wasseraufbereitungsanlage nämlich tatsächlich gebaut worden, könnte die Untere Lobau heute mit Donauwasser dotiert und damit gerettet werden – eine Annahme, die bis jetzt von niemandem widerlegt wurde.
Im Augenblick heißt es dazu von Seiten der Stadt lediglich:
Donauwasser für die Untere Lobau? Leider nein, wir würden zwar gern, aber das würde die Brunnen verunreinigen.
Warum also und von wem wurde das Projekt Grundwasseraufbereitungsanlage so unvermutet gestoppt und damit die Lobau zur Austrocknung und Verlandung verurteilt?
Robert Poth aus Wien 16 (Seine Plattform zu Natur- und Umweltschutz: https://beasts.at/) hat unsere bisherigen Recherchen fortgeführt und die Detektivgeschichte um verblüffende Erkenntnisse erweitert:
Die Rolle der obersten Wasserrechtsbehörde
In der Gemeinderatssitzung vom 24. November 2003 verweist SPÖ-Gemeinderat Paul Zimmermann auf eine Entscheidung der obersten Wasserrechtsbehörde (also des zuständigen Bundesministeriums), wonach das Wasser aus der Lobau ZWINGEND aufzubereiten wäre:
„Infolge einer Entscheidung der obersten Wasserrechtsbehörde muss das in den Brunnenfeldern Nußdorf, Donauinsel / Prager Straße und Lobau sowie dem Markethäufel gewonnene Wasser über eine Aufbereitungsanlage geführt werden, die im neu zu errichtenden Wasserwerk Kleehäufel gebaut wird.“
Paul Zimmermann nimmt in seinem Statement den kurz darauf, im März 2004 veröffentlichten Bescheid zur wasserrechtlichen Bewilligung des Wasserwerks Kleehäufel vorweg. Dort wird festgehalten, dass die im Grundwasserwerk Lobau übliche Desinfektion des Trinkwassers mittels Chlorgas aus hygienischer Sicht veraltet sei und die neue Wasseraufbereitungsanlage „als Schritt in eine dem Stand der Technik entsprechende Wasserversorgung“ betrachtet werde.
Zusammengefasst: Die Aufbereitung des Trinkwassers aus der Lobau galt 2003 als unzureichend und veraltet. Das ist sie bis heute. Die Aufbereitungsanlage wurde niemals errichtet. Wer trägt dafür die Verantwortung?
Die geplante, abenteuerliche Finanzierung
Das Wasserwerk Kleehäufel hätte (laut SP-Gemeinderat Jürgen Wutzlhofer = Jürgen Czernohorszky in der Gemeinderatssitzung vom 23. April 2003) über eine Art Kredit mit Hilfe einer sogenannten Cross-Border-Leasing-Transaktion finanziert werden sollen. Im Detail: Das Kanalnetz des 21. und 22. Bezirks wurde an ausländische Investoren verleast, die Stadt erhielt dafür Geld quasi bar auf die Hand – mehr als 120 Millionen Euro. Die Leasingraten können über Jahrzehnte zurückgezahlt werden.
Auszug aus dem wörtlichen Protokoll der Gemeinderatssitzung (Jürgen Wutzlhofer = Czernohorszky):
„Weiters werden wir mit diesem Geld die Wasseraufbereitungsanlage Kleehäufel finanzieren. Das ist eine große Investition in die Erhaltung der Umwelt, aber natürlich auch eine Ankurbelung der Wirtschaft und eine Investition in Arbeitsplätze. Ich bin der Meinung, dass das gerade jetzt sehr notwendig ist, weil die Bundesregierung zwar den Leuten Geld aus der Tasche zieht, aber genau das, nämlich auf der anderen Seite in die Wirtschaft investieren, nicht tut. (Beifall bei der SPÖ.)“
Prüfbericht: Und dann kam alles ganz anders.
Das Geld aus dem Cross-Border-Leasing landete (laut Prüfbericht des Kontrollamts der Stadt Wien vom 20. November 2008) am Ende zwar an vielerlei Stellen, jedoch seltsamerweise kein einziger Euro davon beim Projekt Wasseraufbereitungsanlage Kleehäufel.
Aus dem Kontrollamtsbericht: „Ursprünglich war vorgesehen, vom oben erwähnten Darlehen 85 Mio. EUR für den Kanalnetzausbau (Magistratsabteilung 30) und 36,30 Mio. EUR für die Errichtung des Grundwasserwerkes Kleehäufel (Magistratsabteilung 31 – Wasserwerke) zu verwenden.“
Ursprünglich. Und was geschah danach?
Warum und von wem wurde also das für die Wiener „Daseinsvorsorge“ und für die Rettung der Lobau so eminent wichtige Projekt abgeblasen? Und obendrein ohne Spuren zu hinterlassen …
In den Gemeinderatsprotokollen ist von einer offiziellen Einstellung nirgendwo die Rede. Liegt am Ende etwa alles nur daran, dass die Stadt schlicht und einfach pleite ist und somit die verfügbaren Mittel zu „wichtigeren“ Projekten umgeleitet wurden? Was aber wäre wichtiger als die “Daseinsvorsorge” in Zusammenhang mit dem Trinkwasser?
Ein letzter Hinweis auf das das verschwundene Wasserwerk stammt von Michael Häupl in der Gemeinderatssitzung vom 25. Juni 2008. Da weist der Bürgermeister darauf hin, dass Wien „große Investitionen in die Qualität der Daseinsvorsorge“ zu finanzieren haben werde, und dass dabei zum Beispiel „die zentrale Wasseraufbereitung Kleehäufel zur Qualitätssicherung“ anstehen würde.
Wieso hat sich die Opposition nie damit befasst, zumal etwa die FPÖ das diskussionswürdige Cross-Border-Leasing ja stets kritisiert hatte?
Der Clou
Auf einem im Internet öffentlich zugänglichen Stadtplan, in dem das „Hauptrohrsystem“ der Wasserwerke dargestellt wird, ist klar und deutlich (Stand Jänner 2019) ein „Wasserwerk Kleehäufel“ eingezeichnet: https://www.wien.gv.at/wienwasser/pdf/rohrsystem.pdf
Derzeit gehen in der Unteren Lobau durch Verlandung pro Jahr bis zu 3,5 Prozent der Gewässerlebensräume verloren. Ohne entsprechendes Management, so heißt es in einer 2018 erschienenen wissenschaftlichen Publikation, werden die meisten Augewässer und Feuchtgebietsflächen in diesem Teil des Nationalparks Donau-Auen innerhalb der kommenden Jahrzehnte komplett verschwinden.
Wir haben nicht mehr lange Zeit, um die Lobau vor dem Sterben zu bewahren.
Recherchen: Robert Poth, Kooperation und Text: Manfred Christ
Quellen:
https://www.wien.gv.at/mdb/gr/2003/gr-035-w-2003-11-24-101.htm (Gemeinderat 24.11.2003)
https://www.wien.gv.at/mdb/gr/2003/gr-027-w-2003-04-23-031.htm (Gemeinderat 23.4.2003)
http://www.stadtrechnungshof.wien.at/berichte/2009/lang/02-09-KA-IV-K-17-8.pdf (Bericht des Kontrollamts 2008)
https://www.wien.gv.at/mdb/gr/2008/gr-036-w-2008-06-25-071.htm (Gemeinderat 25.6.2008)
Editors Stefan Schmutz, Jan Sendzimir (BOKU): “Riverine Ecosystem Management, Chapter 25, Danube Floodplain Lobau”, Springer Verlag, 2018
“Wiener Abwasser fließt 35 Jahre im US-Kanal”, DerStandard, 24.4.2003
Amtsblatt der Stadt Wien Nr. 25 / 22. Juni 2000