Nun sieht es tatsächlich danach aus, als würde bald über eine Rohrleitung Wasser aus der Neuen Donau in die Panozza-Lacke geleitet werden. Das soll die Panozza-Lacke als vielfältigen Lebensraum und Badegewässer retten, sowie den Fasangartenarm, den Seeschlachtgraben, das Tischwasser und die Gerinne bis hinunter nach Groß-Enzersdorf beleben.
Im Vergleich zu früheren Zeiten ist die Panozza-Lacke heute nur noch ein jämmerlicher Teich – mit einer Durchschnittstiefe von gerade einmal 140 Zentimetern, dicht bedrängt vom Schilf.
Davor war sie eines der bekanntesten Naturbadegewässer, ein Stück vom alten Wien. Hierher pilgerten im Sommer all jene, die mehr wollten, als bloß in ein Schwimmbecken zu springen. Hier gab es eine Bootsvermietung, viele Fischerzillen, viele Fische, Teichrosen, eine vielfältige Unterwasserwelt, eine Imbisshütte und gleich nebenan eine idyllische Gastwirtschaft. Hier war „Lobau“ für alle, ob arm oder reich – so wie die Wiener es liebten.
Der Mann, nach dem die Lacke benannt ist, hieß eigentlich Panozzo – und nicht Panozza. Leopold (Leopoldo?) Panozzo zog um 1860 aus Treschè Conca in den Bergen östlich des Gardasees nach Wien. Er war Fuhrwerksunternehmer und in Wien gab es damals für Fuhrwerke viel zu tun. Bald waren Panozzos Pferdewagen auf allen Wiener Baustellen anzutreffen – vor allem beim Großprojekt der Donauregulierung.
Die Panozza-Lacke entstand, als beim Aufschütten des Hubertusdammes einer der zahlreichen alten Donauarme in zwei Teile getrennt wurde. Der Teil, der im Überschwemmungsgebiet verblieb, wurde 1938 „im Interesse des Hochwasserschutzes“ endgültig zugeschüttet. Der andere Teil existiert bis heute.
Die Namensgebung dürfte auf einen Unfall zurückgehen, der Panozzos Name im Volksmund mit dem Gewässer verband: Bei Erdtransportarbeiten, so wird erzählt, sei eines von Panozzos Fuhrwerken verunglückt und dabei „in der Lackn“ ertrunken.
Im Wienerischen wurde aus Panozzo bald Banoza, im Laufe von Jahrzehnten „Panozza“.
Leopold Panozzo, seine Familie und seine Arbeiter gerieten bei den Donau-Überschwemmungen der Winter 1876 und 1880 in große Gefahr und entkamen nur knapp dem Verderben.
Ende Februar 1876 wurden die Panozzos und ihre meist italienischen Arbeiter von einem gewaltigen Hochwasser samt Eisstoß überrascht. Panozzo besaß im Überschwemmungsgebiet eine Baracke. Von dort flüchtete er mit seinen Leuten und mit zahlreichen Pferden zu einem Schuppen am Damm unterhalb der Stadlauerbrücke, wo sie mehrere Nächte ausharren mussten, ehe ihnen wer zur Hilfe kommen konnte.
Hainburg und das Marchfeld standen damals unter Wasser. Der Prater bot ein trostloses Bild. Vom Konstantinhügel stromabwärts erstreckte sich eine unabsehbare Wasserfläche. In der Kolonie Kaisermühlen standen sämtliche Gebäude unter Wasser und in den Straßen lagen riesige Eisblöcke umher.
Vier Jahre später, Anfang Jänner 1880, kam es zu einer mindestens ebenso gefährlichen Situation:
Albern wurde da in der Nacht so plötzlich von den Fluten heimgesucht, dass die Bewohner nur mit Mühe ihr Leben retten konnten. In Kaiser-Ebersdorf und Teilen von Simmering flüchteten die Leute auf die Dächer. In Simmering forderte das Hochwasser mehrere Menschenleben.
Familie Panozzo und ihre Dienstleute, insgesamt elf Personen, so fürchtete man, wären in der Lobau umgekommen..
Als Sicherheitswachmänner mit Zillen zur Wohnhütte Panozzos vordrangen, fanden sie nur noch Trümmer. Bei den Gerätschaften saßen drei Wachhunde, daneben drei Gänse und ein einzelnes Pferd, das bis zum Bauch im Wasser stand. Wegen der starken Strömung konnten die Wachleute nicht bis zu den Tieren gelangen.
Auf der Rückfahrt erblickten sie in den Fluten die übrigen Pferde des Italieners. Die armen Tiere waren nicht zu retten. Nachdem keine Leichen zu finden waren, wurde die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass sich die Familie Panozzo samt ihren Dienstleuten eventuell rechtzeitig in Sicherheit bringen konnte.
Und so war es auch. Wenige Tage später schilderte Leopold Panozzo, was geschehen war: Um zwei Uhr nachts brach der Hochwasserschutzdamm. Panozzo und seinem Gefolge gelang es, gemeinsam mit dem ebenfalls in der Lobau wohnenden Müllermeister Fischer mit Hilfe einer Zille das auf einer leichten Anhöhe gelegene Jägerhaus zu erreichen.
15 Minuten später wurden Panozzos Baracke und das Haus des Müllermeisters von Eisblöcken zertrümmert und fortgeschwemmt.
Ab wann nun die Panozza-Lacke tatsächlich offiziell Panozza-Lacke genannt wurde, ist unbekannt.
Die früheste öffentliche Erwähnung stammt von September 1903. König Edward VII. von England war nach Wien gekommen und unternahm mit Kaiser Franz Joseph einen Jagdausflug in die Lobau.
Dem hohen Gast wurde „in der sogenannten Panozza-Lacke mitten im Wasser ein auf Piloten errichteter Sitz“ angeboten, von dem er in der Folge auf die vorüberschwimmenden, fliehenden Hirsche feuerte.
Nach Ende des 1. Weltkrieges entwickelte sich die Lobau vom Jagdrevier zum Naherholungsgebiet. Hier fanden die Wiener „zurück zur Natur“, konnten unbeschwerte und kostenfreie Badetage verbringen.
Die Obere Lobau durfte in jenen Tagen nur zwischen Ostersonntag und Allerheiligen und gegen ein kleines Entgelt betreten werden. Zur Panozza-Lacke reiste man in den 1920er und 1930er-Jahren von Kagran aus mit der Straßenbahn bis Aspern und dann weiter zu Fuß, oder man überquerte vom Praterspitz aus mit der Motoboot-Überfuhr die Donau und betrat die Lobau am gegenüberliegenden Ufer beim Lobgrundtor. Von hier war es nur noch ein Katzensprung bis zur Panozza-Lacke.
Etwa ab 1930 wurden die viele lufthungrigen Badegäste auch entsprechend versorgt: Josef Herzele errichtete im Lobgrund eine Gastwirtschaft und eröffnete an der Panozza-Lacke eine Bootsvermietung.
Dort, wo damals das idyllische Gasthaus stand, liegt heute die Zufahrt zum Tanklager Lobau.
1932 wurde auch unmittelbar an der Panozza-Lacke ein Verkaufsstand genehmigt – zum „Kleinverschleiß von Zuckerbäcker- und Zuckerwaren, Schokoladen, Milch, Fruchtsäften und alkoholfreien Erfrischungsgetränken“ – der frühe Vorfahre des heutigen „Knusperhäuschen“.
Das kleine Paradies am Wasser behielt seine stille Natürlichkeit bis 1940. Dann wurde in unmittelbarer Nähe der Ölhafen errichtet, die Ölhafenbahn, das Tanklager Lobau und die Raffineriestraße.
Anfang der 1970er-Jahre ging es weiter bergab: Keine drei Kilometer stromaufwärts der Panozza-Lacke wurde 1970 ein Kohlekraftwerk errichtet, das naturnahe Überschwemmungsgebiet musste ab 1972 der betonierten Donauinsel weichen, genau über der Panozza-Lacke sollte ein Autobahnknoten (A 21, A 22 und S 1) entstehen.
Als ob das nicht genug wäre, kam es im August 1972 zu einem verheerenden Ölunfall. Bei Verschubarbeiten wurden zwei, je 42 Tonnen fassende Tankwaggons schwer beschädigt. 80 Tonnen Rohöl flossen aus und verunreinigten einen Seitenarm der Panozza-Lacke. Auf der Wasseroberfläche schwamm eine 1 Zentimeter dicke Ölschicht. Die Unfälle mit Tankwagen sollten sich fortsetzen: 1976 flossen 20.000 Liter Benzin aus, 1984 entgleisten neuerlich vier Tankwagen. Die Panozza-Lacke blieb jedoch wie durch ein Wunder unversehrt.
Das war die Zeit, als der Gründer des Lobaumuseums, der Polizist Anton Klein, mit seiner Bürgerinitiative und seiner medialen Präsenz dafür sorgte, dass die Zerstörung der Lobau ins öffentliche Blickfeld rückte und die Lobau 1978 unter Schutz gestellt wurde.
Ihre Schutzwürdigkeit konnte die Panozza-Lacke zwar grundsätzlich retten, aber nicht vor dem weiteren, allmählichen Niedergang bewahren: Der Bau der Donauinsel und der Bau der Donauufer-Autobahn schnitten die Obere Lobau vom Grundwassersystem der Donau ab.
Die Lobaugewässer verlandeten von da an immer schneller. Aus der von Booten, Anglern und Badenden belebten, wunderbaren Pannoza-Lacke wurde nun wahrlich eine Lacke – im schlechten Sinne des Wortes.
Der unterirdische Wasseraustausch mit der Donau fand kaum noch statt. Am Boden des Gewässers sammelte sich immer mehr Schlamm, von den Ufern her breitete sich massiv das Schilf aus, der Wasserstand sank, die Wasserhygiene wurde zum Problem.
In einer von 1993 bis 2001 durchgeführten Studie zur Qualität der Wiener Naturgewässer fiel die Panozza-Lacke negativ auf. Ab 1997 wurden dort wiederholt Fäkalkeime und Enterokokken nachgewiesen. Im Jahr 2000 musste das beliebte Badegewässer sogar für zwei Wochen gesperrt werden.
Heute wird die Qualität aller kleinen Wiener Naturgewässer im Juni, Juli und August hygienisch untersucht und die Ergebnisse umgehend veröffentlicht. Weil das Wasser nicht sehr tief sei, preist die Stadt Wien die Panozza-Lacke als „ideal zum Schwimmen für Kinder“ an. Damit wird die fatale Verlandung auf geschickte Art und Weise zum PR-Argument.
Eine seit mindestens 2002 geplante, möglicherweise noch vor 2024 verwirklichte Einleitung von Wasser aus der Neuen Donau in die Panozza-Lacke soll deren Wasserqualität und deren Qualität als Lebensraum für Tiere und Pflanzen dauerhaft verbessern.
Das Dotationswasser könnte auch einige unter Austrocknung leidende andere Gewässer der Oberen Lobau vor der kompletten Verlandung bewahren. Dazu muss notwendigerweise der, aus der Panozza-Lacke herausreichende, komplett verschilfte Fasangartenarm vorsichtig ausgebaggert und von Totholz befreit werden. Dasselbe wird auch im Mühlwasser oberhalb und unterhalb der Saltenstraße geschehen und oberhalb der Esslinger Furt.
Zur Wasser-Einleitung wird von der Neuen Donau her unterirdisch ein mehr als eineinhalb Meter dickes Rohr verlegt. Baubeginn war im Herbst 2022.
Läuft alles glatt, könnte an der Panozza-Lacke demnächst wieder ein Hauch ihrer seinerzeitigen wilden Frische zu spüren sein und ihre hundert Jahre alte Tradition könnte fortgesetzt werden – als naturnahe, kostenfreie Ruhe-Oase der Wiener.
Quellen:
- N.N. (1876): Überschwemmung in Wien. In: Die Presse, 20. Februar 1876
- N.N. (1876): Die Überschwemmung in Wien. In: Neues Wiener Tagblatt, 20. Februar 1876
- N.N. (1876): Vom Eisstoß. In: Morgen-Post, 23. Februar 1876
- Ritter von Wex, Gustav (1876): Die Wiener Donauregulirung. In: Schriften des Vereins zur Verbreitung naturwissenschaftlicher Kenntnisse Wien – 16: 89 – 130.
- N.N. (1880): Die Überschwemmungsgefahr. In: Morgen-Post, 5. Januar 1880
- N.N. (1880): Vom Eisstoß. In: Morgen-Post, 8. Januar 1880
- N.N. (1880): Zur Wiener Überschwemmungsgefahr. In: Epoche, 8. Jänner 1880 (Seite 4)
- N.N. (1880): Neueste Nachrichten. In: Tagespost, 16. Jänner 1880 (Seite 3)
- Obermüller, Adolf und Bensa, Alexander (1880): Der Donaueisstoß im Jänner 1880 mit dem Sperrschiff. In: Sammlung Wien Museum, CC BY 3.0 AT, Foto: Birgit und Peter Kainz (https://sammlung.wienmuseum.at/objekt/118454/)
- Franzisco-Josephinische Landesaufnahme (1869-1887), Österreichisches Staatsarchiv. In: https://mapire.eu/
- N.N. (1903): Aus Wald und Flur. In: Für’s Jagdschloß, Nr. 101 (Seite 118)
- N.N. (1931): Wiedereröffnung der Lobau für den Ausflugsverkehr. In: Die Stunde, 28. März 1931 (Seite2)
- N.N. (1932): Eintragungen in den Erwerbsteuerkataster. In: Amtsblatt der Stadt Wien, 16. April 1932
- N.N. (1938): Städtischer Haushaltsausschuss. In: Amtsblatt der Stadt Wien Nr. 8, 19. Februar 1938 (Seite 2)
- N.N. (1972): Feuerwehr der Stadt Wien. In: Die Verwaltung der Stadt Wien (Seite 157)
- Holba, Johannes (1990): Panozzalacke. In: Pfarre Aspern https://aspern.at/beitrag/beitrag.php?bei_id=24905 (Jänner 1990)
- N.N. APA (2003): Wiens gesunde Teiche. In: Der Standard, 12. Mai 2003
- (2012) Perspective Lobau 2020, Endbericht, April 2012
Ein wirklich interessanter Artikel! Wollen wir hoffen, dass durch die geplanten Bauarbeiten und Dotationen das Austrocknungs- und Verlandungsproblem endgültig gelöst wird!
Eine wunderbare Geschichte!
Eine ganz besondere Recherche!
Und viel Zuversicht, dass es besser wird!
sehr inspirierender artikel – es macht Lust darauf, wieder öfters zur Panozzalacke zu fahren und dort die Natur zu genießen. Schön, dass es dort wieder mehr Wasser geben wird.
….und immer wieder Erinnerungen an Cissy Kraner:
https://www.youtube.com/watch?v=NIasACss2jQ