Im Jahr 2014 freundete sich der bekennende Lobau-Fan und Naturfotograf Gerhard Neuhold in der Oberen Lobau mit einem Schwanen-Pärchen an. Die Freundschaft währte beinahe sechs Jahre. Dann erlitt das weibliche Tier ein trauriges Schicksal.
„Die wunderschöne, intelligente Schwanen-Dame ist eine Freundin geworden“, erinnert sich Gerhard Neuhold, „eine Schwänin, die mich niemals attackierte, die sehr oft aus dem Wasser mit einem Sprung zu mir kam, bloß ein paar Zentimeter entfernt, um mich zu begrüßen, und die gerne Futter aus der Hand nahm (nur Weizen und Haferflocken). Nun kann sie nie mehr kommen. Das tut sehr weh.“
Gerhard Neuholds intensive Beziehung zu den beiden Schwänen beginnt am 2. Dezember 2014, als er ihnen an der Alten Naufahrt zum ersten Mal begegnet. Wenige Tage später gelingt es ihm, den Ring am Fußgelenk des Weibchens zu fotografieren. Mit Hilfe der darauf geprägten Erkennungszahl stellt sich heraus, dass das Tier 2011 in der slowakischen Kurstadt Piešťany geboren wurde – etwa eineinhalb Autostunden von Wien entfernt.
2015 beziehen die Schwänin und ihr Partner in der Alten Naufahrt zum ersten Mal ein Nest. Gerhard Neuhold notiert: „Zwischen 2. und 29. Juni drei Jungtiere geschlüpft, keines davon überlebt.“
2016 ein neuer Versuch. Diesmal schlüpfen sieben Junge aus den Eiern, wenigstens eines von ihnen schafft es, die Jugendphase unbeschadet zu überstehen.
Nach Revierkämpfen mit Artgenossen besetzt das Schwanen-Paar 2017 das Tischwasser. Wiederum schlüpfen sieben junge Schwäne, wiederum überlebt nur ein einziger.
2018 wird das Gelege von einem unbekannten „Täter“ zerstört. 2019 versuchen es die Vögel am Mühlwasser – etwa 700 Meter vom Tischwasser entfernt. Diesmal schlüpfen fünf Junge. Zwei erreichen das Teenager-Alter, nur eines schafft es, erwachsen zu werden.
Dann das Jahr 2020. Gerhard Neuhold glückt es aufgrund der Coronavirus-Beschränkungen nicht, das Nest der Schwäne ausfindig zu machen. Am 1. Juni beobachtet er die Schwänin und ihren Partner in Begleitung von sechs Jungtieren. Am 24. August waren es nur noch fünf.
In den folgenden zwei Tagen kommt es zu einem rätselhaften Unglück: Am 27. August erhält Neuhold einen Anruf, dass das Männchen mit den Jungtieren an der Naufahrt gesichtet wurde und das Weibchen nirgendwo zu sehen war.
Bei einer Nachschau am Tag darauf berichtet eine Anrainerin, ein Schwan wäre mit einem verletzten Flügel gefunden worden, Leute hätten die Tierrettung angerufen und das Tier wurde abgeholt.
Recherchen ergaben schließlich, dass der Flügel des verletzten Schwanen-Weibchens mehrfach gebrochen war und das Tier eingeschläfert werden musste.
Gerhard Neuhold: „Meine kleine Schwanenfreundin ist keine zehn Jahre alt geworden.“
Höckerschwäne können mehr als zwanzig Jahre alt werden. Ein solches Alter dürfte jedoch in freier Wildbahn nur in Ausnahmefällen erreicht werden.
Etwa fünfzig Prozent der jungen Schwäne sterben in ihren ersten Lebenswochen – mutmaßlich an Krankheiten, an Kälte, an Entkräftung, durch Füchse und nicht angeleinte Hunde. Die Erwachsenen fallen in der überwiegenden Zahl der Fälle der Zivilisation zum Opfer: Sie kollidieren mit Freileitungen, mit Autos, mit befestigten Oberflächen und verschlucken ominöse Fremdkörper. Eine schwedische Studie hat gezeigt, dass etwa zwanzig bis vierzig Prozent der Todesfälle beringter Schwäne auf Kollisionen mit Stromleitungen zurückzuführen waren.
Die Tiermedizinerin Michaela Gumpinger von der Veterinärmedizinischen Universität Wien hat herausgefunden, dass Schwäne auch häufiger als vermutet schwere Hüftverletzungen erleiden.
Wahrscheinlich, so heißt es, würde die Mehrzahl solcher Verletzungen passieren, wenn die schweren Tiere versuchten, auf harten Oberflächen zu landen. Die großen Kräfte, die dabei auftreten, werden auf die Hüfte übertragen. Die Ursache für solche Notlandungen könnten Turbulenzen in der Luft sein oder auch fatale Verwechslungen. Nachdem Schwäne mit Hüftverletzungen oft am Straßenrand oder in der Nähe von Bahngeleisen gefunden werden, liegt der Verdacht nahe, dass die Vögel Asphalt und Beton mit Wasser verwechseln und den fatalen Irrtum begehen, dort zu landen.
Gerhard Neuhold sichtet am 18. September 2020 den nun einsamen Schwanen-Vater mit fünf Jungen. Ende Oktober war ihm nur ein einziges geblieben.
Die Schwäne sterben wie die Fliegen, weil die „Errungenschaften“ des Menschen ihre Welt in einen brandgefährlichen Ort verwandelt haben.
Gerhard Neuhold: „Es war nur eine Schwänin, die uns wieder einmal klar machte: Passt auf, auf die Umwelt, liebe Menschheit. Schützt die Tiere, die Pflanzen und unsere wunderschöne Erde!“
PS: Vor wenigen Tagen (Ende Februar 2021) ist das Schwanen-Männchen wieder an der Alten Naufahrt aufgetaucht – in Begleitung eines jungen Weibchens, seiner neuen Partnerin.
Quellen:
- Mathiasson, Sven (1993): Mute swans, Cygnus olor, killed from collision with electrical wires, a study of two situations in Sweden, Environmental Pollution, Volume 80, Issue 3, Pages 239-246
- Petutschnig, Werner und Wagner, Siegfried (2003): Der Höckerschwan (Cygnus olor) in Kärnten. In: Carinthia II 193./113. Jahrgang, Seiten 9-26, Klagenfurt
- Gumpenberger Michaela, Scope Alexandra (2012): Computed tomography of coxofemoral injury in five mute swans (Cygnus olor). In: Avian Pathology, 2012 Oct; 41(5)
- N. N. (2012): Verletzte Schwäne: viel öfter Schäden am Hüftgelenk als vermutet. In: Presseinformation Veterinärmedizinische Universität Wien vom 26.11.2012