Ein Lied für Träume und Tränen – wie es entstanden ist

Im Jahr 1927 entstand ein Wienerlied, das als Schlager zu einem Welterfolg wurde und wie kein anderes den romantischen Traum von der Lobau beschreibt – gewissermaßen als deren Hymne. Der Titel dieses Liedes: „Drunt‘ in der Lobau“.

Viele berühmte Sänger und Entertainer hatten es in ihrem Repertoire: Richard Tauber, Peter Alexander, Greta Keller, die Comedian Harmonists, Peter Minich, Erich Kunz, Karel Gott, James Last … Die vom Standpunkt des Wieners her wohl erdigste Version mag die von Willi Forst aus dem Jahr 1935 sein.

Die Entstehungsgeschichte des Liedes ist ein Spiegel der damaligen Zeit. Bisher war sie Stückwerk, beruhte auf ungenau überlieferten Hinweisen, auf mutmaßlichen Fakten. Dazu kamen unberücksichtigte historische Quellen. Hier die im Augenblick umfangreichste Erzählung – ein Stück vom alten Wien, das über den Zweiten Weltkrieg hinaus bis in unsere Tage reicht: die Geschichte von „Drunt‘ in der Lobau“.

Wienbibliothek AC10541962-4201

Es beginnt mit einer Straßenbahnfahrt.

Dem 27jährigen Beamten und Textdichter Alois Klampferer aus Neulerchenfeld sticht in der „Tramway“ ein nur 17 x 37 Zentimeter kleines Werbeplakat ins Auge, das die Bevölkerung dazu animieren soll, mit der Straßenbahn in die Lobau zu fahren.

Neben der Schrift befindet sich ein stilisiertes, romantisches Landschaftsbild des Malers und Grafikers Franz Anton Griessler (1897-1974).

Griessler ist jahrelang als Plakatgrafiker für das Rote Wien tätig, wird später NSDAP-Mitglied. Als ihm nach 1945 von den Alliierten Kriegsverbrechen vorgeworfen werden, flüchtet er nach Honolulu, wo er 1974 verstirbt.

Im Kreis: Alois Klampferer-Eckhardt

Seine Darstellung der Lobau zeigt eine überhöhte Idylle: einen Teich mit Binsen, alte Bäume, ein Reh. Alois Klampferer muss das Bild auf den ersten Blick beeindruckt haben.

Im Juli 1958 schildert er die Begegnung in einem Brief an den Schauspieler und Sänger Emmerich Arleth:

„Als ich eines Tages im Jahr 1927 in der Straßenbahn ein wunderschönes Plakat sah, wo ein Hirsch aus dem Gezweige lugte und das die Frage als Überschrift trug: „Wiener, kennt ihr Eure Lobau?“, ging mir ein Knopf auf.“

Arleth: „Und plötzlich hatte er den Texteinfall zu “Drunt‘ in der Lobau hab’ ich ein Mäderl geküsst.”

Klampferer macht sich auf den Weg zum berühmten Schlager- und Wienerlied-Komponisten Heinrich Strecker, mit dem er bereits seit etlichen Monaten bekannt war.

Strecker ist von dem balladenartigen Text sofort begeistert. Alois Klampferer: „Strecker komponierte sofort eine Musik und dabei hatten wir nur die eine Zeile „Drunt‘ in der Lobau“. Nach schrecklichen drei Tagen, jeder Tag gilt für Jahre, war meine Lehrzeit zu Ende und das Lied ebenfalls.“

Heinrich Strecker sorgt anschließend dafür, dass sich Alois Klampferer einen schnittigen Künstlernamen zulegt. Fortan nennt er sich „Alois Eckhardt“.

Dann pilgern Komponist und Textautor von Verlag zu Verlag. Aber die Verleger zeigen sich uninteressiert. Immer wieder muss Strecker hören: „Aber hör’n S’ma auf, wer kennt scho de Lobau.“

Also greift er zu einer Finte und macht sich auf die Suche nach einem renommierten Autor, der beim Text des beinahe unbekannten Alois Klampferer „mitzuzeichnen bereit war.“ Strecker gelingt es, den berühmten Dr. Fritz Löhner (Pseudonyme: Beda, Löhner-Beda) dafür zu überreden.

Löhner war ein Star seiner Zunft. Sein bekanntestes Werk ist das Lied „Dein ist mein ganzes Herz“ aus der 1929 uraufgeführten Operette „Das Land des Lächelns“ – in Zusammenarbeit mit Ludwig Herzer, Musik: Franz Léhar.

Nun stand bei „Drunt in der Lobau“ neben dem Namen des Komponisten und neben dem Namen des bescheidenen Alois Klampferer das „Markenzeichen“ Fritz Löhner-Beda.

In der Folge griff Otto Hein zu, der Leiter des mit Fritz Löhner eng verbundenen Wiener Bohême-Verlages. Damit war das Lied auf Schiene.

Zum ersten Mal öffentlich vorgetragen wurde es von der jungen Soubrette Hannerl Elsner – der Legende nach beim Ball der Oberösterreicher in den Wiener Sophiensälen.

Das beruht jedoch mit größter Wahrscheinlichkeit auf einer Verwechslung:

Denn das Lied wurde keineswegs beim „Ball der Oberösterreicher“ zum ersten Mal vorgetragen, sondern – wohl im Jahre 1927 – im „Saal der Oberösterreicher“ in der Restauration Franz Zauner, Wien XVIII, Jörgerstraße 4, die Heinrich Strecker wohlbekannt war.

In den Sophiensälen kann es nicht gewesen sein, weil sowohl 1927 als auch 1928 beim Ball der Oberösterreicher keine Wienerlieder am Programm standen und es auch bis heute keinen Hinweis darauf gibt, dass bei einer der beiden Veranstaltungen Heinrich Strecker oder Hannerl Elsner zu Gast gewesen wären.

Hannerl Elsner (richtiger Name: Ludmilla Hammer) galt als „die jüngste Liedersängerin Wiens“. Heinrich Strecker hatte mit ihr seit mindestens 1925 gemeinsame öffentliche Auftritte. Ab 1932 war sie seine Lebensgefährtin. Eine gemeinsame Tochter kam 1934 zur Welt.

Die Neue Freie Presse schrieb am 3. März 1925 zu einer der ersten Darbietungen Elsners einen geradezu euphorischen Kommentar:

„Vor einer Woche noch war Klein-Hannerl Schülerin … und heute schon ist sie ein Liebling des Publikums. Mit ihrer jungen, frischen Stimme singt sie Alt-Wiener Lieder von Heinrich Strecker, der sie selbst am Klavier begleitet. Rein und innig. Das Publikum klatscht stürmisch Beifall.“

„Drunt in der Lobau“ war nun auf dem Weg, große Karriere zu machen. Im Juli 1928 trug Hannerl Elsner das Lied vor vielen Tausend Menschen beim 10. Deutschen Sängerbundesfest im Wiener Prater vor.

Die ersten Schallplattenaufnahmen entstanden:

Franz Hoffmann, ein leider zu wenig bekannter, echter Wiener Tenor, war einer der ersten, der „Drunt in der Lobau“ auf Platte festhielt. Ein Kritiker schrieb 1929 über Hoffmann: „… ein Tenor von klarster Stimme und reinstem Ausdruck … der stimmungsdurchbebteste Alt-Wiener-Liedersänger … er hat zwar einen großen Kreis von Schätzern, aber gar keine Gabe, sich in Szene zu setzen.“

Dazu gesellten sich in den folgenden Jahren Georg Kober, der ehemalige Operettentenor des Prager deutschen Theaters, das Saxophonorchester Otto Dobrindt mit Otto Neumann, dem singenden Geschäftsführer der Wiener „Kaiser Bar“, der deutsch-jüdische Tenor Max Kuttner, „Zigeunerprimas“ Lajos Kiss, der russisch-jüdische Geiger und Kapellenleiter Michael Schugalté, Opernstar Richard Tauber und der österreichische Publikumsliebling Willi Forst.

Nach dem Zweiten Weltkrieg galt „Drunt in der Lobau“ bereits als Volkslied. Eine englische Version erschien unter dem Titel „Home may be a word“. Eine schwedische Version hieß “Rosor och jasmin“ (= Rosen und Jasmin).

Heinrich Strecker, der Komponist des Liedes, wurde in Wien geboren und in Belgien erzogen. Er erlernte zwölf Musikinstrumente, absolvierte eine Meisterklasse für Violine und schrieb mit 14 Jahren sein erstes Violinkonzert. Sein Schaffen umfasst mehr als 350 Werke.

Ab 1933, also noch vor dem „Anschluss“ Österreichs, war Heinrich Strecker Mitglied der NSDAP und bekleidete in der Folge unter anderem den Posten des „Gau-Obmanns der N.S. Kulturgemeinde Wien“. In dieser Funktion wurde er 1936 kurzfristig inhaftiert. Von seiner damaligen politischen Gesinnung zeugen Werke wie „Wach auf, deutsche Wachau“, „Deutsche Frau“ und „Deutsch-Österreich ist frei“.

Die Heinrich Strecker-Gesellschaft plädiert „für eine sachliche Trennung von Person und Werk des Komponisten“. Streckers Leistung um die formale und inhaltliche Weiterentwicklung der Musik-Gattungen „Operette“ und „Wiener Musik/Wienerlied“ sollten gewürdigt und weitergegeben werden.

Zu Streckers Volksliedern zählen: „Ja, ja, der Wein is guat“, „Auf der Lahmgruaben da steht ein altes Haus”, “Liebes Wien, du Stadt der Lieder”, “Hätt’ ma’s net, so tät’ ma’s net”. Dazu kommen die Operetten „Mädel aus Wien” (1932) und „Ännchen von Tharau” (1933).

Heinrich Strecker verstarb am 28. Juni 1981 im 89. Lebensjahr in Baden bei Wien.

Fritz Löhner-Beda, der in Böhmen geborene Librettist, Schlagertexter und Schriftsteller, der seit mindestens 1915 mit Franz Léhar zusammengearbeitet hatte, wurde von den Nazis am 4. Dezember 1942 im Konzentrationslager Auschwitz III ermordet.

Hannerl Elsner bezeichnete sich selbst in ihrer Jugend als „meist engagierte Wiener Liedersängerin“. In unzähligen gemeinsamen Auftritten mit Heinrich Strecker sang sie dessen neueste Schlager. 1925 nahm sie ihre erste Schallplatte auf („Mein Engelchen muß schlafen geh’n“). Ab 1933 engagierte sie sich politisch für die Nationalsozialisten. 1936 wurde sie dafür verurteilt und floh mit Heinrich Strecker nach Berlin. 1938 kehrten die beiden nach Wien zurück. Nach dem Krieg setzte sie ihre Auftritte als Wienerlied-Sängerin fort und nahm erneut Schallplatten auf. Ihre letzten Lebensjahre verbrachte sie in einem Pensionistenheim in Wien-Favoriten. Im Juni 1990 starb Hannerl Elsner im 79. Lebensjahr. Ihre letzte Ruhestätte (als Ludmilla Patterer) ist der Friedhof Inzersdorf in Wien-Liesing.

Alois Klampferer war bis zu seinem Tod unentwegt und genügsam als Wienerlied-Texter aktiv. Am 26. September 1961 ist er nach langer Krankheit schon im 62. Lebensjahr verstorben. Zu seinen Werken zählen die Lieder “Mit hat heut’ tramt, es gibt kan Wein mehr”, “Wenn ich von der Liebe träum, dann träum ich nur von dir”, “Die hundert Jahr, die mir no lebn, die halt ma aus”.

Die erstaunlichste Anekdote zur Entstehung von „Drunt in der Lobau“ ist die Tatsache, dass weder der Komponist, noch der Textautor, noch die erste Interpretin des Liedes zur Lobau jemals ein romantisches Verhältnis hatten.

1943, anlässlich der Feiern zu Heinrich Streckers 50. Geburtstag, erzählte der Komponist, er hätte sich einmal mit Hannerl Elsner aufgemacht, den Ort seiner Hymne endlich selbst aufzusuchen. Die beiden wären also zum Praterspitz gewandert und hätten sich von dort mit der Fähre über die Donau in die Lobau übersetzen lassen.

Doch kaum, dass sie ihren Fuß ins gelobte Land gesetzt hätten, sei wie wild das Laub von den Büschen geflogen und ein orkanartiger Sturm wäre losgebrochen.

„Schwindel! Gemeinheit! Alles Schwindel!” zeterten die vielen Ausflügler, erinnerte sich Strecker. „Man lockt uns her und in Wirklichkeit gibt’s da nichts als Gelsen, Sand, und in einem fort Wind!” Hannerl Elsner und Heinrich Strecker traten, wie alle anderen an diesem gewittrigen Tag, die Flucht an.

Auch Textautor Alois Eckhardt-Klampferer konnte sich nicht für die reale Lobau begeistern. 1958, drei Jahre vor seinem Tod, schrieb er:
„Das Lied wurde, wie Strecker mir voraussagte, ein Weltschlager. Und doch gestehe ich es ein, dass ich noch nie in der Lobau war und dass ich auch in Zukunft nicht die Absicht habe, das Platzerl zu suchen.“

 

„Drunt in der Lobau“ wurde unter anderen interpretiert von:

Originaltext:

Wo die Donau mit silbernen Armen umschlingt
s‘ letzte Stückerl vom träumenden Wien,
wo die Einsamkeit winkt, wo die Nachtigall singt
und das Heimchen noch nistet im Grün;
dort lacht das Glück aus tausend Zweigen,
dort ist der Blütenduft so eigen,
am stillen Waldrand, wo ich mein Liebchen fand.

Drunt‘ in der Lobau, wenn ich das Platzerl nur wüsst,
drunt‘ in der Lobau hab ich ein Mädel geküsst;
ihre Äugerln war’n so blau, als wie die Veigerln in der Au,
auf dem wunderlieben Platzerl in der Lobau!

Und die Stunden vergingen, wir saßen beim Teich
und wir hatten einander so lieb.
Und die Vöglein, sie zwitscherten alle zugleich
uns ihr Lied, dass es immer so blieb.
Wir träumten unser schönstes Märchen,
wir waren ein verzaubert‘ Pärchen,
das in der Traumwelt sich fest umschlungen hält.

Drunt‘ in der Lobau, wenn ich das Platzerl nur wüsst …

Doch es kam dann ein Tag und ich ging durch den Hag,
so wie einst, als die Welt noch so schön,
hörte nicht aus den Zweigen der Nachtigall Schlag,
konnt‘ die Blümlein am Weg nicht mehr seh‘n.
In meinem Herzen brannt‘ ein Sehnen,
aus meinen Augen fielen Tränen,
am stillen Waldrand, wo einst mein Liebchen stand.

Drunt‘ in der Lobau, wenn ich das Platzerl nur wüsst …

Quellen:

  • N. N. (1925): „Vergnügungsanzeiger: Simplizissimus“ In: Neue Freie Presse, 3. März 1925 (Seite 9)
  • N. N. (1925): „Kinoprogramme/Park-Kino: Der Wein und seine Lieder – Meister des Wiener Liedes“ In: Die Stunde, 29. November 1925 (Seite 8)
  • Griessler, Franz (1926): „Wiener! Kennt Ihr eure Lobau?“ In: Wienbibliothek, Plakatsammlung, 17 x 37 cm Bildplakat.
  • N. N. (1928): „Schallplatten: Odeon-Schallplattenkonzert“ In: Die Stunde, 17. November 1928 (Seite 12)
  • N. N. (1928): „Radio Wien: Abendkonzert der Kapelle Korngold – Keyda“ In: Kleine Volkszeitung, 15. Dezember 1928 (Seite 16)
  • N. N. (1929): „Lokales: Heiterer Abend“ In: Badener Zeitung, 28. August 1929 (Seite 2)
  • N. N. (1938): „Wien bleibt die Stadt der Lieder: Hannerl Elsner macht ihrem Namen Ehre“ In: Das Kleine Volksblatt, 28. Dezember 1938 (Seite 9)
  • Stieger, Anton (1943): “Der Mann, der die Lobau “entdeckte” – Heinrich Streckers Geburtstagserinnerungen.“ In: Das Kleine Volksblatt, 3. März 1943 (Seite 5)
  • Klampferer-Eckhardt, Alois (1958): Schreiben an Emmerich Arleth am 7. Juli 1958
  • Parte von Alois Klampferer-Eckhardt vom 26. September 1961
  • Wieser, Raimar und Ziegler, Peter (1997): „Liebes Wien, du Stadt der Lieder: Heinrich Strecker und seine Zeit“, Amalthea Signum-Verlag (ISBN-13 : 978-3850024051)
  • Hirschenberger, Wolfgang und Parnes, Herbert (2013): „Diskographie der österreichischen Populärmusik. Tanz-, Jazz und U-Musikaufnahmen 1900 – 1958
  • Kornberger, Monika (2015): „Elsner, Hannerl (eig. Hammer, Ludmilla, verh. Patterer)‟ In: Österreichisches Musiklexikon online
  • Wienbibliothek im Rathaus (2019): „Franz Griessler“ In: Objekt des Monats August 2019: Sommer, Sonne, Strand und Wasser – das Gänsehäufel
  • Kornberger, Monika (2020): „Wiener Bohême-Verlag‟ In: Österreichisches Musiklexikon online
  • Verein Heinrich Strecker Gesellschaft
  • Wiaderni, Robert: „Heinrich Strecker“ In: Musik-Austria online
  • Deutsche Fotothek: Griessler, Franz (Künstler-Datensatz 70049437)

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