Wie eine undurchsichtige politische Entscheidung bis heute die Wiener Wasserversorgung schwächt.
Kollateralschaden: Die Lobau stirbt.
IN KÜRZE:
Um den Bedarf der Zukunft abzudecken und für Notfälle vorzusorgen, kündigt Wien 1995 an, das alte Grundwasserwerk Nussdorf zu revitalisieren und gemeinsam mit dem brandneuen Grundwasserwerk Donauinsel-Nord eine verlässliche Ergänzung zu den Hochquellen-Leitungen zu schaffen – garantiert durch eine zu errichtende, moderne Trinkwasser-Aufbereitungsanlage.
Für das immer wieder von Hochwässern beeinträchtigte Grundwasserwerk Lobau wird ebenfalls eine Aufbereitungsanlage geplant.
1999 ergibt eine Studie, dass es sinnvoller sei, statt zwei Aufbereitungsanlagen für Lobau und Nussdorf/Donauinsel eine einzige, zentrale Anlage zu errichten.
Nun werden von zwei aufeinanderfolgenden Umweltstadträten Millionen investiert, Grundstücke werden angekauft, technische Vorarbeiten durchgeführt, eine Pressekampagne gefahren, ein Architektenwettbewerb abgehalten und das Vorhaben zur Zulassung eingereicht.
Im März 2004 wird das Projekt einer zentralen Wiener Wasseraufbereitungsanlage vom zuständigen Bundesministerium bewilligt. Ein Gutteil der notwendigen finanziellen Mittel wird genehmigt.
Im Juli 2004 wird Ulli Sima Umweltstadträtin. Im März 2006 sagen die Wasserwerke das sieben Jahre lang intensiv beworbene Projekt plötzlich ab – zum blanken Entsetzen der Obersten Wasserrechtsbehörde.
Was weiter geschieht:
- Der Plan, die beiden sanierungsanfälligen Hochquellen-Leitungen durch eine verlässliche, zusätzliche Grundwasser-Leitung abzusichern, wird de facto storniert. Die Wiener Stadtpolitik ignoriert die Sicherheitsbedenken ihrer Sachverständigen.
- Magistrat und Politik verschweigen die Hintergründe der Entscheidung und behaupten in der Folge sogar die Unsinnigkeit und Unfinanzierbarkeit des Projektes.
- Die beiden leistungsstarken Grundwasserwerke Nussdorf und Donauinsel sind bis heute praktisch unbrauchbar. Die Verwendung des Wassers ist nur im Notfall unter strengen Auflagen erlaubt. Die Notfallzulassung für das Werk Donauinsel lief Ende 2023 ab – und musste verlängert werden.
Das Wasserwerk Lobau, das einzige Wiener Grundwasserwerk, dessen Wasser – außer bei Überschwemmungen – mit einfacher Desinfektion ins Netz geschickt werden darf, steht nun allein auf weiter Flur.
Das führt dazu, dass die Stadtverwaltung auf alle Pläne, die vertrocknende und verlandende Lobau mit Wasser zu speisen, übersensibel reagiert.
2015 weist überdies eine umstrittene, technische Modellrechnung darauf hin, dass in der Unteren Lobau gewissermaßen jeder Tropfen eingespeistes Wasser für die Brunnen ein hygienisches Sicherheitsrisiko darstellen würde. Die Aufbereitungsanlage, die diesen Konflikt vermeiden hätte können, wurde abgesagt.
Der Nationalpark war der Stadt egal. Die Untere Lobau geht seitdem mit rasender Geschwindigkeit zugrunde.
DAS GANZE EIN WENIG AUSFÜHRLICHER:
Um für die Wasserversorgung der Stadt Wien eine Alternative zu den beiden Hochquellenleitungen zu haben, wird seit mehr als siebzig Jahren eine dritte Wiener Wasserleitung, eine Grundwasserleitung, angedacht.
Anfang der 1990er-Jahre scheint die Verwirklichung dieses Projekts endlich bevorzustehen:
- An der Nordseite des Donauinsel wird ein zusätzliches Wasserwerk errichtet
- das alte Wasserwerk in Moosbrunn (NÖ) erhält endlich eine Betriebsbewilligung
- das alte Grundwasserwerk Nussdorf wird revitalisiert.
Offizielle Begründung der Stadt: „Um den Wasserbedarf der Zukunft abdecken und für Notfälle vorsorgen zu können.“
Nachdem Grundwasser aber nur selten so belastungsfrei und hygienisch unbedenklich verfügbar ist, wie das Wasser aus den Hochquellenleitungen, ist Fachleuten und Politikern klar, dass jedes einzelne Grundwasserwerk mit einer mehrstufigen Aufbereitungsanlage versehen werden muss. Nur damit sei es möglich, das Grundwasser zu jeder Zeit und bei jeder Gelegenheit bedenkenlos ins Wiener Leitungsnetz einzuspeisen.
Also wird die Planung für mehrere, lokale Wasseraufbereitungsanlagen in Angriff genommen:
- für das Grundwasserwerk Moosbrunn in Niederösterreich
- für das Grundwasserwerk Lobau (das trotz guten Wassers bei Überschwemmungen stillgelegt werden muss)
- für die Grundwasserwerke Nussdorf, Donauinsel Nord und Pragerstraße.
1999 kommt man aus Kostengründen zur Entscheidung, für Lobau, Nussdorf und Donauinsel eine gemeinsame Aufbereitungsanlage zu errichten – am sogenannten Kleehäufel, am flussabwärts gelegenen Ende der Alten Donau.
- Im Jahr 2000 wird von der Stadt für Vorarbeiten und Grundstücksankäufe ein Sachkredit von heute (inflationsbereinigt) 6,13 Millionen Euro genehmigt – und ausgegeben.
- 2004 werden für die erste Ausbaustufe netto weitere 75,5 Millionen Euro genehmigt.
- Ein Architektenwettbewerb wird abgehalten und ein Gewinner gekürt.
- Die Finanzierung erfolgt mit Hilfe einer Cross-Border-Leasing-Transaktion.
2004 wird das Projekt von der im Bundesministerium angesiedelten Obersten Wasserrechtsbehörde in einem 160 Seiten umfassenden Bescheid als „dringend erforderlich“ bewilligt. Anfang 2005 wird die Baugenehmigung erteilt.
Im März 2006 geschieht Unbegreifliches:
Die Wiener Wasserwerke versuchen unerwartet, den Bau ihrer „für die Qualität der Daseinsvorsorge“ zentralen Aufbereitungsanlage auf die lange Bank zu schieben, und zwar „aufgrund geänderter Prioritätenreihung“. Das Projekt würde jedoch „von der Sache her außer Streit stehen.“
Der Gutachter der Obersten Wasserrechtsbehörde ist fassungslos. Er schreibt:
- „Triftige und aus fachlicher Sicht nachvollziehbare Gründe wurden nicht genannt.“
- „Es erstaunt in hohem Maße und gibt Anlass zur Besorgnis, dass die Sicherung der Wasserversorgung zukünftig nicht mehr mit oberster Priorität betrieben werden soll.“
- „Es ist evident, dass eine Verzögerung des Baubeginns nur auf Kosten der Versorgungssicherheit gehen kann.“
Die Wasserwerke erwidern, die Anforderungen an die Stadt seien erheblich gestiegen und das nehme erhebliche finanzielle Mittel in Anspruch.
Außerdem: Die Entscheidung, welche Projekte umgesetzt würden, sei Aufgabe der Stadtregierung. Und da würden die „divergierenden Zielsetzungen aufeinander folgender politischer Entscheidungsträger“ eine Rolle spielen:
Ab 1. Juli 2004 hieß die Umweltstadträtin Ulli Sima. Das Projekt wurde von ihren Vorgängern Fritz Svihalek und Isabella Kossina erarbeitet und vehement unterstützt.
Die Oberste Wasserrechtsbehörde lehnt die Argumentation als nicht stichhaltig ab. Sie hält fest, die rasche Errichtung der Aufbereitungsanlage Kleehäufel sei unabdingbar, „um die Sicherheit der Wasserversorgung der Stadt Wien auch in Hinkunft gewährleisten zu können.“
Und weiter: „Seitens der Behörde und ihres Amtssachverständigen wird somit die dringende Notwendigkeit gesehen, die Errichtung einer Aufbereitungsanlage ehestmöglich in Angriff zu nehmen.“
Die Konsequenzen:
- Die Stadt Wien entscheidet schließlich, die schweren Bedenken der Obersten Wasserrechtsbehörde zu ignorieren.
- Die Wasserwerke stehen mit zwei praktisch nicht verfügbaren Grundwasserwerken da. Nur das Wasser der Lobau kann – außer in Hochwasserzeiten – ohne Aufbereitung ins Leitungsnetz eingespeist werden.
- Die für den Bau bereits akquirierten Geldmittel fließen in andere Kanäle.
Bei den Wasserwerken versucht man zu retten, was zu retten ist:
- Am Brunnenfeld auf der Donauinsel wird eine zusätzliche UV-Desinfektionsanlage errichtet und in der Folge – in Analogie zum Grundwasserwerk Nussdorf – eine stark eingeschränkte Notfallzulassung für „außerordentliche bzw. kritische Versorgungssituationen“ erreicht. Ablaufdatum der Notfallzulassung Donauinsel: 31. Dezember 2023.
- Weil die Brunnen in der Lobau nun – neben dem aufbereiteten Wasser aus Moosbrunn – in kritischen Situationen als letzte Rettung gelten, verhindern die unter Druck geratenen Wasserwerke von da an jeden Versuch, die prekären Wasserverhältnisse im Wiener Teil des Nationalparks zu verbessern. Das gilt insbesondere für sämtliche Pläne, die vertrocknende und verlandende Untere Lobau durch Dotation mit Wasser aus der Donau oder der Neuen Donau vor dem Niedergang zu bewahren. Jeder zusätzliche Tropfen, so heißt es, könne die Einsatzbereitschaft der Brunnen gefährden.
- Dies erweist sich für die Untere Lobau als Todesurteil.
Die politische Entscheidung, dieses Großprojekt der Daseinsvorsorge abzusagen, kann den Indizien nach nur von Ulli Sima oder Michael Häupl getroffen worden sein.
Die Gründe wurden niemals öffentlich dargelegt oder diskutiert, weder im Gemeinderat noch in der Presse. Die Mauer des Schweigens hält bereits 18 Jahre. Mit einer einzigen Ausnahme:
In der Gemeinderatssitzung vom 25. Juni 2008 erwähnt Bürgermeister Michael Häupl ein letztes Mal, dass Wien „große Investitionen in die Qualität der Daseinsvorsorge“ zu finanzieren haben werde, und dass dabei „die zentrale Wasseraufbereitung Kleehäufel zur Qualitätssicherung anstehen” würde.
Bis 2013 haben die Wasserwerke leise Hoffnung, dass die Aufbereitungsanlage Kleehäufel doch noch errichtet wird. Danach herrscht zehn Jahre Stillstand.
Im März 2023 verkündet die Stadtpolitik scheinheilig ihre Verantwortung für das Trinkwasser und kündigt euphorisch an, zur Sicherung der Wasserversorgung nun die beiden Grundwasserwerke Nussdorf und Donauinsel mit Aufbereitungsanlagen zu versehen: 28 (!!) Jahre nachdem zweifelsfrei deren Notwendigkeit erkannt wurde und 17 (!!) Jahre nachdem das Projekt aus undurchsichtigen Gründen gekübelt worden war. Fertigstellung übrigens nicht vor 2028.
Über das sinnlos verbrannte Geld, über das Risiko, das man mit der Wasserversorgung eingegangen ist und über den unbekümmert gebilligten Niedergang des Wiener Teils des Nationalparks wird kein Wort verloren.
PS: Alle angeführten Vorgänge und Geschehnisse können durch Dokumente belegt werden.
Danke für diese super Dokumentation! Man kann allerdings die Hintergründe der (Fehl?-) Entscheidungen der Stadt nicht nachvollziehen, man gewinnt den Eindruck, dass hier vieles nicht mit rechten Dingen zugegangen ist. Wie nachlässig hier mit einem Naturschutzgebiet ersten Ranges umgegangen wird, ist beunruhigend. Dass weder Nationalpark noch MA22 (Naturschutz) nicht laut und öffentlich protestieren ebenso. Dass bei der Frage “Wasser für die Untere Lobau” immer noch mit der Trinkwassersicherheit argumentiert wird, ist skurril. Stadt Wien, quo vadis?
Ein Trauerspiel, wie passt das mit der “Umweltmusterstadt Wien” zusammen? Wie sowas professionell abgewickelt wird zeigt ein Blick in den niederösterreichischen Teil des Nationalpark Donauauen:
https://www.viadonau.org/unternehmen/projektdatenbank/petroneller-au
Dort wird unter dem Motto:
“Mehr Wasser für Natur und Mensch” die Petroneller Au revitalisiert und in Zukunft wieder an die Donau unterhalb des Niederwasserstandes angebunden.
Die Stadt Wien beruft sich heute noch, wenn ein Bürger wie ich im zuständigen Stadtratbüro anfrage beim Thema Untere Lobau und deren stets zunehmende Austrocknung auf die Eintiefung der Donausohle unterhalb des KW Freundenau. Auch dies ist eine Nebelgranate der aktuellen Rathauspolitik, es ist nämlich die letzten Jahre der Austria Hydro Power wie auch der Via Donau gelungen, die Sohleeintiefung erheblicheinzubremsen. Dies zeigen die kennzeichnenden Wasserstände der Donau unterhalb von Wien im Zeitbereich 2010 bis 2020. Zukünftige Uferrückbauten und Gewässervernetzungen, auch in der Erhaltungungsstrecke der Austria Power unmittelbar im Bereich der Unteren Lobau könnten hier sogar zusammen mit der Geschiebebewirtschaftung der Via Donau hier sogar eine Trendumkehr bewirken und nachhaltig die notwendigen Spiegellagen der Donau für eine Dotation der unteren Lobau bereitstellen.
Zu Ihrer ergänzenden Information. Zitat aus dem Jahr 2013: „Die Eintiefung der Donau von rund 2-3 cm/Jahr (seit 1938 etwa 1-1,5 Meter; Reckendorfer et al.2005, Klasz et al. 2009) zeigt ebenfalls negative Auswirkungen auf das untersuchte Gewässersystem.
Durch die Kies-Zugabe der Verbund Hydro Power AG, welche als Kompensation für das Kraftwerk
Freudenau durchgeführt wird, ist dieser Trend im Bereich der Lobau allerdings derzeit gestoppt und
für die zukünftige Entwicklung nicht mehr relevant.“ (Reckendorfer, Walter & Böttiger, Marlen & Funk, Andrea & Hein, Thomas. (2013). Die Entwicklung der Donau-Auen bei Wien – Ursachen, Auswirkungen und naturschutzfachliche Folgen.. Geographica Augustana. 13. 45-53)