Autobahn mitten durch Stadlau – der verhinderte Albtraum

Die Verlängerung der Wiener Südosttangente quer durch den 22. Bezirk sollte einst mitten durch die Gemeindebauten und die Siedlungshäuser von Stadlau und Hirschstetten führen – hätte dies nicht eine Bürgerinitiative vor 45 Jahren gerade noch verhindert.

Hier – erstmals dokumentiert – die schillernde Geschichte dieser Auflehnung.

Sie zeigt, dass sich in der politischen Auseinandersetzung in den vergangenen 45 Jahren nicht viel geändert hat. Ein Konflikt mit allem, was dazugehört: die Arroganz der Mächtigen, Bürger, die nicht ernst genommen werden, Baukosten in Milliardenhöhe, unklare Kompetenzen, zurechtgebogene Wahrheiten und ein Kleingarten-Skandal. Am Rande betroffen: die Lobau.

Die Autobahn-Verlängerung hieß A 24. Die Bürgerinitiative hieß “Alternative zur A 24”.

Als im Mai 1979 die Stadt Wien einen neuen Flächenwidmungsplan verkündet, werden einige unmittelbar betroffene Bewohner von Stadlau zufällig darauf aufmerksam und erheben innerhalb weniger Tage Einspruch.

In der Folge beginnt eine vier Jahre dauernde, erbitterte Auseinandersetzung. Sie endet damit, dass die vom Rathaus gewollte Trasse durch die Stadlauer und Hirschstettner Wohngebiete fallengelassen und die Autobahn stattdessen als A 23 entlang der Ostbahn-Geleise verlängert wird.

DIE AUTOBAHN-EKSTASE DER 1970er-JAHRE

In den 1970er-Jahren ist Österreich im Autowahn. Der Weg in die Zukunft – so heißt es – werde über zusätzliche Autobahnen und die neu geschaffene Kategorie der „Bundesschnellstraße“ führen, ein Verkehrsweg zwischen Autobahn und Bundesstraße, der in Ballungsräumen „normale“ Straßen ersetzen soll.

Im August 1970 stellt Wien die als unnötig betrachtete Straßenbahnlinie 317 zwischen Floridsdorf und Groß-Enzersdorf ein. Kurz vor Weihnachten 1970 wird die vierte Donaubrücke (Praterbrücke) für den Verkehr freigegeben.

Das Bundesstraßengesetz 1971 legt katastrophale Vorhaben fest.

Katastrophal jedoch nur aus dem Blickwinkel jener, die sich ihren Lebensraum nicht mit Straßen zubetonieren lassen wollen und die Zukunft vor allem im öffentlichen Verkehr sehen. Praktisch, fortschritts- und zukunftsorientiert für jene, die sich vom Bau neuer Straßen mehr Lebensqualität und Wohlstand erwarten. Im 21. und 22. Wiener Gemeindebezirk ist unter anderem folgendes vorgesehen:

  • Die A 5 als Verlängerung der Brigittenauer Brücke quer über die Obere Alte Donau.
  • Die Donauufer-Autobahn A 22 bis zu einem Autobahnkreuz bei der Panozza-Lacke, wo sie sich mit der über eine neue Donaubrücke hergeleiteten A 21 vereinigen sollte.
  • Die A 21 durch die Obere Lobau, durch Aspern, Essling bis Aderklaa.
  • Die Bundesschnellstraße S 1 vom Knoten Kaisermühlen quer durch die Obere Lobau bis Groß-Enzersdorf.
  • Und die A 24 als Verlängerung der Praterbrücke durch Stadlau und Hirschstetten, ebenfalls Richtung Aderklaa.

Die Autobahn A 21 und die Schnellstraße S 1 durch die Lobau wurden bereits 1972 durch Anton Klein und seine Bürgerinitiative „Lobau darf nicht sterben!“ zu Fall gebracht.

In der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre wird deshalb der Bau der A 24 mitten durch die Stadlauer und Hirschstettner Wohngebiete von den Anrainern nicht wirklich ernst genommen.

EINSPRUCH IN LETZTER SEKUNDE

Bis zum 8. Mai 1979, als die „Rathauskorrespondenz“ unvermutet den Beschluss eines neuen Flächenwidmungsplanes ankündigt, eine Umwidmung von Bauland in Verkehrsfläche, „um den Ausbau der Fortsetzung der Praterbrücke sicherzustellen“.

OpenStreetMap

Einige wenige Bürger, deren Häuser und Gärten unmittelbar an der projektierten Trasse liegen, erkennen den Ernst der Lage und werden unter der Regie des in der Universitätsbibliothek als Buchbinder beschäftigten Karl Gschwindl († 2000) innerhalb von Stunden aktiv.

Dazu kommen die katholische und die evangelische Kirche, deren Gotteshäuser in Gefahr sind, von der A 24 erdrückt zu werden.

Der Flächenwidmungs- und Bebauungsplan wird in letzter Sekunde beeinsprucht.

Die Trasse der A 24 soll folgenden Verlauf nehmen:

Über das Mühlwasser, den Mühlgrund, unmittelbar am Kloster und am Friedhof Stadlau vorbei, entlang der Heinrich-Lefler-Gasse, die Langobardenstraße querend, zwischen den Gemeindebauten an der Aribogasse, über die Erzherzog Karl-Straße, der Hyazinthengasse folgend und hernach mitten hinein in die Gemeindebau-Siedlungen an Quaden- und Spargelfeldstraße.

In jenen Tagen des Jahres 1979, als sich der Widerstand formiert, sind die großen Wiener Landesparteien bei diesem Thema keineswegs einheitlicher Meinung. Die ÖVP unter Erhard Busek († 2022) stellt sich quasi augenblicklich hinter die Bürgerinitiative. Busek hält in einem Schreiben eindeutig fest:

Erhard Busek, Handbuch d. Stadt Wien 1979

 „Die Wiener Volkspartei ist längst von der Absicht abgegangen, Wien mit einem Autobahnnetz zu versehen. Leider haben die Sozialisten nach wie vor das Bestreben, das Bundesstraßengesetz (das, wie Sie wissen, viele Stadtautobahnen vorsieht) zu verwirklichen.”

Hans Mahr, DBZ 2-1984

Die FPÖ brachte schon lange vor dem offenen Konflikt eine von der Stadt ignorierte Lösung ins Spiel, die am Ende jedoch Wirklichkeit werden sollte: die Verlängerung der Praterbrücke entlang der Ostbahn-Geleise – statt entlang der Gemeindebauten.

In einem Brief an die Bürgerinitiative legt FP-Bezirksrat Hans Mahr († 2014) im Juli 1979 den Standpunkt seiner Partei dar:

“Fast alle Ihre Argumente waren und sind stets unsere Grundlage bei Stellungnahmen zu Straßenbauten im Stadtgebiet. Auch wir sind besorgt über Verminderung der Lebensqualität, Zerstückelung von Siedlungsgebieten, Lärmbelästigung, gesundheitliche Schädigung durch Abgase, Umsiedlungsaktionen und Verlust an Grünflächen.“

Mit der Wiener SPÖ ist nicht zu reden. Die A 24 sei beschlossen und alternativlos. Erst als die Angelegenheit in die Presse gelangt, der Bezirksvorsteher in einen Skandal verwickelt wird und ein Minister der Bundespartei allmählich die Reißleine zieht, wird in Wien klein beigegeben.

GESPRÄCHSVERWEIGERUNG UND VERTUSCHUNGEN

Gschwindl und seine Leute beginnen Unterschriften zu sammeln und schreiben eine Flut von Briefen: an Bezirksvorsteher Huber, an Verkehrsstadtrat Nittel, an Planungsstadtrat Wurzer, an Bautenminister Moser, an Nationalrat Schemer, an die Gemeinderäte Hirnschall, Daller und Strunz, an die Ombudsmänner Weisz, Bauer und Zeilinger, an den Stadtsenat, an Bürgermeister Leopold Gratz und an Bundespräsident Rudolf Kirchschläger.

Ihr Hilfeersuchen enthält zwei Kernsätze:

„Das Wohlbefinden des Menschen in seinem Lebensraum soll das Leitbild einer optimalen Infrastruktur sein.“ Sowie: „Als primäre Zielsetzung hat der Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel zu gelten!“

Der erste, der antwortet, ist der Bundespräsident. Er schreibt, die Zuständigkeit zur Entscheidung läge ausschließlich bei der Stadt Wien. Und dem Bundespräsidenten stünde in dieser Frage kein Einfluss zu.

Ausschnitt DBZ 7-1984

Knappe drei Wochen später kommt ein ernüchternder Brief des Donaustädter SP-Nationalrats Stefan Schemer († 2017): „Ich werde Ihre Initiative gegen den Bau der A 24 nicht unterstützen. Der Verkehr muss gebündelt werden, um dicht verbaute Gebiete zu entlasten.“

Gschwindl und seine Leute antworten ihm:

„Wir dürfen als bekannt voraussetzen, dass der Individualverkehr zumindest doppelt so viel Energie je Personenkilometer benötigt als der öffentliche Verkehr. Fazit: Fehlende öffentliche Verkehrseinrichtungen verlangen zwangsläufig einen höheren Motorisierungsgrad. Sie erheben die Forderung, der Verkehr muss gebündelt werden, um dicht verbaute Gebiete zu entlasten. Sie unterliegen dabei offenkundig einer Fehleinschätzung. Das Verlagern in andere Wohn- und Siedlungsgebiete unseres Bezirkes löst nicht das Problem.“

In der Folge trifft ein ebenso enttäuschendes Schreiben von SP-Bezirksvorsteher Rudolf Huber († 1997) ein, der zu erkennen gibt, ein persönliches Gespräch abzulehnen:

„Ich muss Ihnen zu meinem Bedauern mitteilen, dass ich eine Bürgerinitiative nicht unterstützen kann. Die Forderung nach einem raschen Ausbau der A 24 ist berechtigt, da derzeit der gesamte PKW- und LKW-Verkehr durch dicht besiedeltes Wohngebiet führt.“

MÄRCHENSTUNDE

Am 27. Juni 1979 findet zu diesem Thema eine Sitzung der Donaustädter Bezirksräte statt.

FP-Bezirksrat Hans Mahr bringt der Bürgerinitiative im Anschluss daran mit Bedauern zur Kenntnis, Bezirksvorsteher Huber hätte in der Versammlung mitgeteilt, dass die Trasse der A 24 bereits feststehen würde und dass Änderungen nur mehr bei Details möglich seien. Für die Bevölkerung werde es – laut Huber – eine Ausstellung im Donauzentrum geben. Damit sei das Projekt aber so gut wie abgeschlossen. Die FPÖ hätte – so Hans Mahr – dennoch vorgeschlagen, die Autobahn entlang der Ostbahnlinie zu führen, um den Bezirk nicht weiter zu zerstückeln. Mahr: „Leider wurden unsere Vorschläge nicht zur Kenntnis genommen.“

Im Gegensatz zu Hubers Ausführungen in der Versammlung der Bezirksräte schreibt SP-Bautenminister Moser († 2003) vier Wochen später der in den Widerstand involvierten Katholischen Männerbewegung, dass die Festlegung des Straßenverlaufs durch eine Verordnung seines Ressorts erfolgen müsse – und dies noch nicht geschehen sei.

Der Bezirksvorsteher hatte den Donaustädter Bezirksräten also ein Märchen erzählt: In Wahrheit stand noch gar nichts fest.

DER KLEINGARTEN-SKANDAL

Wenige Tage später, am 25. Juli 1979, geraten Huber und seine Genossen erstmals in die Defensive.

Die „Wochenpresse“ veröffentlicht einen Artikel mit dem Titel „Der verkaufte Kleingarten“. Der Donaustädter Bezirksvorsteher hätte seinen Kleingarten, der unmittelbar an der Autobahntrasse zu liegen käme, rechtzeitig zu für ihn äußerst günstigen Konditionen verkauft – noch bevor die Trassenführung in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gedrungen war. Außerdem sei er von seiner Wohnung in der Aribogasse, eine Armlänge neben der zukünftigen Autobahntrasse, in eine besser entfernte Wohnung in der Quadenstraße umgezogen.

In der „Wochenpresse“ wird auch Planungsstadtrat Rudolf Wurzer († 2004) zitiert, unbeugsam und streng auf Parteilinie: „Wir haben alles geprüft. Die umstrittene Trassenführung ist die verkehrstechnisch beste Lösung.“

Der Artikel hält fest, dass dies allerdings die teuerste Lösung sei: 1 km Autobahn um 1,3 Milliarden Schilling.

Diese von der „Wochenpresse“ publizierte Zahl entspricht der Warnung von Experten, dass sich die Kosten bis zur Fertigstellung vervielfacht haben werden. Die offizielle Schätzung für 1 Kilometer Autobahn beträgt hingegen “lediglich” 524 Millionen Schilling.

1,3 Milliarden Schilling 1979 entsprechen unter Berücksichtigung der Inflation 2024 einer Summe von 265 Millionen Euro pro Kilometer (offizielle Schätzung nur 107 Millionen Euro pro Kilometer). Zum Vergleich: Die aktuell im Bau befindliche „Stadtstraße“ durch den 22. Bezirk soll nach manchen Voraussagen pro Kilometer an die 210 Millionen Euro kosten.

alternativer Vorschlag der Bürgerinitiative

Ungeachtet aller Kritik seien für SP-Vizebezirksvorsteher Leopold Wedel laut „Wochenpresse“ die Vorschläge und Klagen der Bürgerinitiative kein Anlass zur Diskussion, weil „das Projekt so gebaut wird, wie es beschlossen wurde.“

Um nicht als bloße Verhinderer gebrandmarkt zu werden, haben Mitglieder der Bürgerinitiative mittlerweile eine alternative Streckenführung durch (damals) nahezu unverbautes Gebiet ausgearbeitet:

Die Donauufer-Autobahn soll demnach bis nach dem Biberhaufenweg verlängert werden und dort – durch die Randzonen des heutigen Nationalparks – über die Alte Naufahrt und das Mühlwasser hinauf durch das heutige Seestadtgelände führen.

Planungsstadtrat Wurzer verweigert den aufrührerischen Bürgern nach wie vor ein persönliches Gespräch. In einem Brief behauptet er, die A 24 sei bereits im Bundesstraßengesetz 1971 als Trasse festgelegt worden, würde ohnehin umweltschonend in Tieflage und mit Lärmschutzwänden errichtet werden und dem 22. Bezirk eine Verkehrsentlastung bringen.

Die von der Bürgerinitiative beworbene, alternative Variante würde den Verkehr hingegen nicht entlasten, wäre aufwändiger, würde das Schutzgebiet Lobau beeinträchtigen und über ausgewiesenes Bauland führen:

DIE TEUERSTE AUTOBAHN ÖSTERREICHS

Im August brodelt das Gefecht um die A 24 auf heißer Flamme:

Donauzentrum 1970er-Jahre

Die Stadt inszeniert im Donauzentrum eine Werbe-Ausstellung für das Projekt. Die Bürgerinitiative stellt sich dagegen und verteilt an den Eingängen des Donauzentrums Flugblätter, Blumen und Obst.

Bitten um persönliche Vorsprachen gehen erneut an Bürgermeister Gratz, Verkehrsstadtrat Nittel, Planungsstadtrat Wurzer und Bezirksvorsteher Huber. Erhört werden die Anrainer jedoch nur von den FP-Bezirksräten Prinz und Mahr und von VP-Vizebürgermeister Busek, mit dem regelmäßig korrespondiert wird.

Am 17. August 1979 schaltet sich die Kronen-Zeitung ein: „Tauziehen um die geplante A 24 geht in die Endphase.“

Die Beamten der Stadtplanung – berichtet die „Krone“ – seien von der Richtigkeit der Trassenführung überzeugt. Diese würde auf drei Kilometer in Tieflage verlaufen und es sei auch ein 300 Meter langer Tunnel vorgesehen.

Erzherzog Karl-Straße 1979

Die Autobahn würde insgesamt eine Verbesserung der Wohnqualität bringen und für die übrigen Straßen eine Entlastung.

Der Bezirk werde auch keineswegs zweigeteilt, weil es eine Reihe von Querverbindungen für Fußgänger und Radfahrer geben werde. Außerdem seien Schallschutzdämme, Schallschutzmauern und schallabsorbierende Geländer vorgesehen. Die Wohnhausanlage Quadenstraße würde überdies durch einen bis zu acht Meter hohen Damm vom Verkehr abgeschirmt werden.

Auch die Bürgerinitiative kommt zu Wort: Es werde keine Entlastung der Wohngebiete geben, da der Zubringerverkehr wieder durch Wohngebiete zur A 24 rollen würde. Tieflage und Tunnel verhinderten nicht die Belastung durch Abgase, da diese durch den Tunnel ausströmen oder nach oben gesaugt würden.

Der Verkehr aus dem Marchfeld, der sich jetzt an der Stadtgrenze verteilt, würde durch die Autobahn ins Wohngebiet geschleust. Es handle sich obendrein um die teuerste Autobahn Österreichs. Die Baukosten würden sich voraussichtlich versechsfachen. Und der Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel wäre viel wichtiger.

Am 7. September lässt sich Bezirksvorsteher Huber nach vier Monaten endlich dazu herab, eine Delegation der Bürgerinitiative zu empfangen, die ihm ihre Pläne überreicht, mit der Bitte um Weiterleitung an die Stadtplanung. Was, wie sich später herausstellen sollte, niemals geschieht.

Nun geht die Bürgerinitiative auf die Straße. Am 15. September findet an der Erzherzog Karl-Straße, dort wo die A 24 durchbrechen soll, eine Kundgebung statt.

Die „Rathauskorrespondenz“ hält fest, dass der Bau der A 24 aufgrund des Flächenwidmungs- und Bebauungsplans von 1963 und des Bundesstraßengesetzes 1971 erfolge. Angefügt wird überraschenderweise, dass es mehrere Trassenvarianten gäbe.

Handbuch d. Stadt Wien 1979

Planungsstadtrat Wurzer verweigert den Bürgern beharrlich ein persönliches Treffen, veranstaltet jedoch eine Pressekonferenz und gewährt den Leuten um Karl Gschwindl zumindest einen Termin mit dem Leiter der zuständigen Magistratsabteilung. So gelingt es am 16. November endlich, in Begleitung des evangelischen und des katholischen Pfarrers von Stadlau, der Stadtplanung die Skizzen der Alternativ-Variante zu überreichen.

An diesem Tag wurde in der Magistratsabteilung 18 mit den wehrhaften Stadlauern erstmals fachlich und ernsthaft diskutiert. Man machte ihnen klar, dass einige Jahre zuvor die A 21 durch die Lobau aus dem Bundesstraßengesetz 1971 (dank Anton Kleins Bürgerinitiative „Lobau darf nicht sterben“) herausgenommen worden war, dass die vorgeschlagene Alternativtrasse ebenso wie die A 21 durch Natur- und Landschaftsschutzgebiet führen würde und daher abgelehnt werden muss.

Am 27. November 1979 feuert die ÖVP im Nationalrat im Rahmen einer Anfrage an den Bauten- und den Gesundheitsminister „Breitseiten“ (Zitat APA) gegen die Trassenführung der A 24 ab:

„In den letzten Jahren habe ein Umdenkprozess zugunsten des Umweltschutzes und der Lebensqualität eingesetzt“, heißt es. Und: „Im Interesse der Erhaltung des städtischen Lebensraumes solle man eine Reihe von Bundesstraßen, Autobahnen und Schnellstraßen im Wiener Raum aus dem Bundesstraßengesetz 1971 streichen.“

Dessen ungeachtet, stimmen am 29. November 1979 SPÖ und KPÖ in der Bezirksvertretung Donaustadt als Grundlage für den Ausbau der A24 der Änderung des Flächenwidmungsplanes zu. Die Bezirksvertretung beruft sich auf zirka 190 Unterschriften, die im Rahmen der Ausstellung im Donauzentrum abgegeben wurden.

Am 1. Februar 1980 wird die Trassenführung in Tieflage im Gemeinderat beschlossen; drei Monate später auch das Verkehrskonzept für Wien, in dem die A 24 enthalten ist.

NEUER MINISTER SETZT AUF VERNUNFT

Im Hintergrund hatte sich in diesen Monaten jedoch Entscheidendes getan: Seit Anfang November gibt es einen neuen Minister für Bauten und Technik, den Gewerkschafter Karl Sekanina († 2008).

Als dieser gegenüber Journalisten anmerkt, das Straßennetz sei „neu zu überdenken“ und zukünftige Projekte seien „nach Prioritäten zu ordnen“, werden die Kämpfer der Bürgerinitiative sofort hellhörig und ersuchen Karl Sekanina um ein persönliches Gespräch. Karl Gschwindl schreibt:

„Wir meinen, dass seit der Beschlussfassung des Bundesstraßengesetzes 1971 entscheidende Entwicklungen stattgefunden haben, die ein Überdenken der straßenbaulichen Maßnahmen nicht ausschließen dürfen.“

Karl Sekanina www.parlament.gv.at

Ein Wunder geschieht: Schon 14 Tage später erhält die Bürgerinitiative, vertreten u.a. durch den evangelischen Pfarrer, durch den Buchbinder Gschwindl, einen Stadlauer Mechaniker, einen Beamten der Post- und Telegraphenzeugverwaltung und den Geschäftsführer der Österreichischen Fremdenverkehrswerbung Helmut Zolles, einen Termin bei den wichtigsten Beamten des Bautenministeriums. Diese bestätigen, dass Ihnen von der Stadt Wien noch nichts vorgelegt worden sei und somit auch noch nicht über eine bestimmte Trassenführung entschieden werden konnte.

Pfarrer Hans Grössing argumentiert: „Es wurden neue Bezirkszentren geschaffen, die mit Straßenbahn und Autobus nur schwer, mit dem Auto aber leicht zu erreichen sind. Jede neue Straße ist ein neuer Verkehrserreger.“

Und Karl Gschwindl: „Wenn wir Unrecht haben, nehmen wir das zur Kenntnis, Wir wollen aber auch wissen, wo wir unrecht haben.“

Er selbst sei Bundesangestellter und wisse, wie schwer Steuergelder zu verwalten seien. Es sei daher nicht einzusehen, dass für zirka vier Kilometer A-24 mehr Geld ausgegeben werden soll als für den Arlbergtunnel. Noch dazu unter dem Aspekt, „dass die Wirksamkeit einer Planung, die vor fast zwanzig Jahren unter anderen Voraussetzungen erfolgte“, fragwürdig geworden sei.

SPIELERTAUSCH IN DER BEZIRKSVORSTEHUNG

Auschnitt aus DBZ 9-1983

Nun lässt in der Angelegenheit A 24 ein neuer Politiker medial aufhorchen, SPÖ-Gemeinderat Albert Schultz († 1993), der sich im Jänner 1981 mit der Bürgerinitiative zusammensetzt und dabei eine Überraschung liefert. Aktennotiz: „Schultz ist persönlich von der Trassenführung nicht überzeugt und bezeichnet die ganze Südosttangente als Fehlplanung.“ (Anm.: Im Herbst desselben Jahres wollte sich Schultz daran nicht mehr erinnern können).

Ende März 1981 legt Bezirksvorsteher Rudolf Huber sein Amt aus gesundheitlichen Gründen zurück. Sein Nachfolger heißt Albert Schultz.

Mit einem Mal steht auch Verkehrsstadtrat Heinz Nittel zu einem Gespräch zur Verfügung – eineinhalb Jahre nach dem ersten brieflichen Ersuchen um persönliche Vorsprache.

Bundesminister Sekanina verfasst zudem im April 1981 in „Freie Fahrt“ (Klubjournal des ARBÖ) einen Kommentar unter dem Titel „Schluss mit dem Größenwahn, wieder zurück zur Vernunft.“

Zitat: „Die Überlegung ist angebracht, ob man alle bisher gesetzlich vorgesehenen hochrangigen Straßen auch wirklich braucht.“

Im 22. Bezirk dagegen wird unabhängig davon bald wieder verbalpolitisch betoniert: durch Kommentare in der Bezirkszeitung und mit der erstaunlichen Gründung einer Bürgerinitiative namens „Pro-A-24“. Karl Gschwindl und seine Vertrauten wehren sich vehement:

 „Es ist ein Irrtum, dass sich nur ein paar „Grünlinge“ oder „schwarze Querulanten“ (wörtliches Zitat eines SP-Politikers) gegen DIESE Trassenführung wehren.“ Und: „Wir wundern uns über die schizophrene Haltung unserer Politiker: Einerseits „trägt ganz Wien grün“, andererseits werden grüne Inseln inmitten von Wohnbauten zerstört.“

ALTERNATIVE TRASSE AN DER OSTBAHN KOMMT INS GESPRÄCH

Ostbahn-Trasse 1977

Am 12. Oktober 1981 dann ein Brief des Bautenministers an den Landeshauptmann von Wien, der das Ende der umkämpften A24-Trasse einläuten sollte:

„Durch die angestrebte möglichst umweltfreundliche Gestaltung sind die zu erwartenden Baukosten für das vorliegende generelle Projekt exorbitant hoch. Das Bundesministerium für Bauten und Technik ist daher der Auffassung, dass vor einer Genehmigung dieses generellen Projektes noch eine Nutzenkostenuntersuchung durchzuführen ist, um die Wirtschaftlichkeit der Maßnahmen nachzuweisen.“

Drei Tage später lädt Minister Sekanina die Bürgerinitiative zu einem ausführlichen Gespräch, in dem er zwei substanzielle Aussagen trifft:

Erstens „Die Entscheidung A 24 wird in Kontakt mit „Euch“ getroffen.“ Und zweitens „Ich bin überzeugt, dass die geplanten vier Kilometer A 24 die teuersten Autobahnkilometer von ganz Österreich sind.“

Inserat Nationalratswahl, Ausschnitt aus DBZ 3-1983

Die SPÖ Donaustadt organisiert eine strategische Diskussion zum Stadtentwicklungsplan „Donaustadt 2000“, bei der Nationalrat Stefan Schemer zugeben muss: „Wir liegen mit dem Bundesministerium für Bauten und Technik im Clinch, werden das aber durchkämpfen müssen.“

Eine alternative Trasse durch die Ränder der Lobau entziehe sich jeder Diskussion. Schemer: „Ich habe mit Herrn Klein eine übereinstimmende Haltung gefunden und bin die Verpflichtung zur Erhaltung der Lobau eingegangen.“

Ein halbes Jahr vergeht. Am 15. Juni 1982 beschließt der Gemeinderatsausschuss „Stadtplanung“ die Auftragsvergabe für die vom Minister angeordnete Kosten-Nutzen-Untersuchung der A 24.

Karl Sekanina bietet den Leuten der Bürgerinitiative erneut eine Aussprache an und informiert sie Anfang Dezember 1982, dass die Kosten-Nutzen-Studie im Frühjahr 1983 abgeschlossen sein werde. Danach würde es zu einer Auswahl der vorliegenden Trassen-Varianten kommen. Und im Rahmen der Kosten-Nutzen-Rechnung sei auch die schon vor Jahren von der FPÖ vorgeschlagene Trasse entlang der Ostbahn im Rennen.

Foto: Manfred Christ
Praterbrücke 1981

NEUES BUNDESSTRASSENGESETZ: ALLES IST ANDERS

Im Jänner 1983 beschließt der Nationalrat die Novelle zum Bundesstraßengesetz 1971, in der erstmals ausdrücklich verzeichnet wird, dass das zuständige Ministerium vor Baubeginn von Bundesstraßen deren Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit zu prüfen hat.

Die Bundesstraßengesetznovelle 1983 eliminiert endgültig die A 21 und S 1 durch die Lobau und die A 5 über die Alte Donau. Somit sind in Donaustadt und in Floridsdorf sämtliche Stadtautobahn-Projekte vom Tisch, die 1971 im Bundesstraßengesetz projektiert wurden. Die Verlängerung der Donauufer-Autobahn A 22 bis zu Panozza-Lacke und die dort anschließende Brücke über die Donau bleiben vorerst existent. 1984 herrscht jedoch bereits Konsens, dass darauf ebenfalls verzichtet werde.

Noch eine Personalrochade, die den Gegnern der geplanten A 24-Trasse in die Hände spielt: im Frühjahr 1983 wird Rudolf Wurzer von Fritz Hofmann († 2018) als Planungsstadtrat abgelöst.

Hofmann steht der Bürgerinitiative alsbald für ein Treffen zur Verfügung und betont dabei, dass nur noch zwei Trassen in der engeren Wahl wären: die gefürchtete Variante in Tieflage mitten durch Stadlau und die Variante an den Geleisen der Ostbahn.

Ein Jahr vergeht, die Welt wandelt sich. Im Juli 1984 schreibt SP-Nationalratsabgeordneter Stefan Schemer in der Bezirkszeitung, der große Vorteil der Trasse über der Ostbahn läge darin, „dass weder Gärten noch Häuser abgesiedelt werden müssen und die Kosten nur etwa 1,7 Milliarden ausmachen.“

Schließlich entscheidet das Bautenministerium, die Verlängerung der Praterbrücke (heute A 23) entlang der Ostbahn zu errichten. 1987 beginnen die Detailplanungen, Baubeginn: August 1989.

Zitat aus der „Rathauskorrespondenz“: „Bei der Trassenwahl für die A 23 wurde die Inanspruchnahme von wertvollen Grundflächen und die Belastung von Wohngebieten weitgehend verhindert.“

Die Bürgerinitiative hatte gesiegt.

 

Primäre Quelle:

  • Briefkopien, Protokolle, Aktennotizen, Fotos von der Demonstration auf der Erzherzog Karl-Straße und Flugblätter aus dem Nachlass von Josef Pekar (†1991), Mitglied der Gruppe „Alternative zur A 24“

Weitere Quellen:

  • N.N. (1970): Tag der “offenen Brücke” In: Wiener Zeitung, 22.11.1970
  • N.N. (1970): Bundesschnellstraße kommt. In: Die Presse, 20.11.1970
  • and (1979): neuer flaechenwidmungsplan fuer kagran und hirschstetten. In: Rathauskorrespondenz, 8.5.1979
  • Schweitzer, Günther (1979): Der verkaufte Kleingarten. In: Wochenpresse, 25.7.1979
  • N. N. (1979): Ausstellung “Projekt A24” im Donauzentrum. In: Rathauskorrespondenz, 31.7.1979
  • Schönauer, Erich (1979): Tauziehen um die geplante A 24 geht in die Endphase. In: Kronen-Zeitung, 17.8.1979 (S. 12-13)
  • Bina, Anton (1979): Geistlicher Kreuzzug gegen Stadtautobahn. In: Kurier, 7.9.1979 (S.15)
  • and (1979): keine versaeumnisse der behoerde bei “projekt a 24”. In: Rathauskorrespondenz, 11.9.1979
  • ko/sr (1979): oevp-anfragen zum ausbau des floetzersteiges und der a 24. In: APA, 27.11.1979
  • N. N. (1980): Kirchen sind auch gegen neue A 24. In: Kurier/Bezirks-Sonderausgabe Donaustadt, 25.7.1980
  • en/gg (1981): Neuer Bezirksvorsteher in Donaustadt. In: Rathauskorrespondenz, 2.4.1981
  • Edlinger, Rudolf (1982 Berichterstatter): Ausarbeitung einer Kosten-Nutzen-Untersuchung der A 24. In: Amtsblatt der Stadt Wien, 26.8.1982 (S. 34)
  • N. N. (1983): Inserat „Die FPÖ-Bezirksräte fordern: Trassierung der Autobahn A 24 entlang der Ostbahn“ In: Donaustädter Bezirkszeitung 3-1983
  • N. N. (1983): Hohe Ehrung für Karl Gschwindl. In: Donaustädter Bezirkszeitung 4-1983 (S. 8)
  • N. N. (1983): Diskussion mit Gegnern der A 24 In: Kurier, 14.7.1983 (S. 17)
  • Schemer, Stefan; Bräuer, Gerhard; Prinz, Walter (1984): DBZ-Politiker-Forum. In: Donaustädter Bezirkszeitung 7-1984
  • Schemer, Stefan; Daller, Karl (1984): DBZ-Politiker-Forum. In: Donaustädter Bezirkszeitung 11-1984
  • N. N. (1989): Baubeginn für Verlängerung der Südost-Tangente. In: Rathauskorrespondenz, 31.8.1989

Fotos und Ausschnitte:

  • Josef Pekar (Veranstaltung Erzherzog Karl-Straße, 1979)
  • Wienbibliothek (Handbuch der Stadt Wien, 1979)
  • Donaustädter Bezirkszeitung DBZ, 1983+1984
  • Manfred Christ (Praterbrücke, Ostbahn, Donauzentrum)

 

Demonstration der Bürgerinitiative “Alternative zur A 24” am 15. September 1979 in der Erzherzog Karl-Straße, Höhe Evangelische Kirche:

 

Kommentare

  • <cite class="fn">Helmut Sattmann</cite>

    Danke für diese schöne Dokumentation! Es wiederholt sich wirklich alles, von der Aroganz der Regierenden bis zum Kleingartenskandal! Mit dem Unterschied, dass sich heute niemand aus diesen 3 Parteien gegen den Lobautunnel auszusprechen traut. Ich glaube das nennt man message control. Dabei ist das festhalten an der Lobauautobahn angesichts Klima- und Umweltkrisen ebenso rückwärtsgewandt und unverantwortlich wie das Zugrundrichten des Auen-Schutzgebietes fahrlässig ist.

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