Text: Helmut Sattmann, Elisabeth Haring, Michael Duda
Fotos: Kurt Kracher, Michael Wurm, Helmut Sattmann
Süßwassermuscheln sind wenig bekannte, doch hochinteressante und ökologisch wertvolle Tiere. Allerdings gehören Fluss- und Teichmuscheln zu den am stärksten gefährdeten Organismen in Europa und sind auch in Österreich stark rückläufig. Im Besonderen gilt dies auch für die Wiener Gewässer, beispielsweise die Lobau. Der jüngste publizierte Bericht über Muscheln in der Lobau stammt aus dem Jahr 2023 und belegt das Vorkommen von lediglich zwei heimischen Großmuscheln (Gemeine Teichmuschel, Malermuschel), wobei lediglich von der Gemeinen Teichmuschel Lebendfunde gelangen. Zudem wurde das Vorkommen der eingeschleppten Chinesischen Teichmuschel dokumentiert. In einer von der Wiener Naturschutzabteilung beauftragten und 2007 durchgeführten Kartierung der Muscheln war der Befund bereits besorgniserregend, ergab aber immerhin noch den Nachweis von vier heimischen Arten in der Lobau.
Muscheln sind wertvolle Glieder in aquatischen Ökosystemen und erfüllen zentrale Funktionen als effektive Filtrierer, die dem Wasser nicht nur Nähr- sondern auch Schadstoffe entnehmen. Sie verbessern damit die Wasserqualität und machen die aufbereiteten Nährstoffe für andere Organismen verfügbar. Durch ihre grabende Aktivität im Gewässergrund modifizieren und stabilisieren sie die Lebensräume und erhöhen das Strukturangebot auch für andere Organismen. Muscheln spielen zudem eine wichtige Rolle in den Nahrungsnetzen (Zieritz et al. 2022; Daill et al. 2024). In ihrer Fortpflanzung gehen einige Süßwassermuscheln enge Beziehungen mit Fischen ein.
Spannende Fortpflanzung
Komplex ist die Fortpflanzungsbiologie der „Flussmuschelähnlichen“ oder Najaden1 (Unionoidaea). Unter den heimischen Arten zählen zu ihnen die Teichmuscheln, Flussmuscheln und die Flussperlmuschel. Die Tiere können zwittrig oder getrenntgeschlechtlich sein. Die männlichen Keimdrüsen entlassen Spermien ins Wasser, die mit dem Atemstrom in andere Individuen gelangen und dort Eizellen befruchten. Daraus entwickeln sich die Larven, die zunächst in den Kiemenzwischenräumen geschützt in der Muttermuschel heranwachsen. Schließlich verlassen sie die Muschel, um sich an Fische anzuheften. Diese parasitischen „Glochidien“ verbleiben einige Zeit als Zysten an den Kiemen oder auf der Haut der Wirtsfische, bis sie schlussendlich als Jungmuscheln zu Boden sinken und ab nun im Substrat leben.
Details der Fortpflanzung und Entwicklung unterscheiden sich bei den einzelnen Arten. Auch die Ansprüche an die Wirtsfische sind sehr verschieden. Während etwa die Flussperlmuschel (Margaritifera margaritifera) unbedingt Bachforellen für die Entwicklung ihrer Larven braucht, haben Teich- und Flussmuscheln ein breiteres Wirtsspektrum, wenngleich Unterschiede in den Präferenzen und im Entwicklungserfolg hinsichtlich der Fischarten bestehen. Voraussetzung für den Fortbestand von Muschelarten im Lebensraum ist somit auch eine stabile und artenreiche Fischfauna. So kann das Fehlen der bestgeeigneten Wirte einen negativen Effekt auf die Populationsentwicklung der Muscheln haben, ebenso wie die Konkurrenz durch eingeschleppte Arten wie zum Beispiel die Chinesische Teichmuschel. Erschwerend für die Muschellarven ist zudem, dass die Fische eine Art Immunität entwickeln und die Glochidien von Fischen, die schon zuvor als Wirt fungiert hatten, abgestoßen werden (Patzner 2004).
Wir sehen, dass Muscheln in ihrer Fortpflanzungsbiologie sehr spezielle Anpassungen aufweisen. Die Lebensweise der Glochidien an Fischen gewährt den Larven Nahrung und Schutz vor Fressfeinden sowie gute Möglichkeiten der Ausbreitung. Das spätere Leben der Muscheln im Bodensubstrat der Gewässer bietet ebenso Vorteile, wie ein reiches Nahrungsangebot, Schutz und Tarnung vor Feinden und die Möglichkeit, bei ungünstigen Bedingungen mittels ihres Grabfußes die Position zu wechseln.
Für die Entwicklung der Muscheln sind daher sowohl artenreiche wie individuenreiche Fischbestände wie auch ein angemessenes Wasserregime Voraussetzung. Zu den wichtigsten Gefährdungsursachen der Süßwassermuscheln gehören Austrocknung, Verschlammung, Verbauung und Regulierung der Gewässer, Destabilisierung des Gewässergrundes, sowie Einträge durch Land- und Forstwirtschaft, Verunreinigungen, Sauerstoffmangel, verarmte Fischfaunen, invasive Arten und die Folgen des Klimawandels bedrohen (Daill et al. 2024). Die allermeisten dieser Bedrohungen sind menschgemacht.
Brutstation für Fische
Es gibt auch Fische, die Muscheln zu ihrer Fortpflanzung brauchen. Der bei uns heimische und geschützte Europäische Bitterling (Rhodeus amarus) ist ein kleiner Fisch aus der Karpfenverwandtschaft. In der Paarungszeit gehen die Männchen auf die Suche nach Fluss- oder Teichmuscheln und lotsen mit einem komplizierten Balzverhalten die Weibchen dorthin. Die Weibchen platzieren mittels einer langen Legeröhre Eier in den Kiemenraum der Muscheln. Die Männchen geben ihre Spermien an der Einströmöffnung der Muscheln ab, die mit deren Atemwasser ebenfalls in den Kiemenraum gelangen und die Eizellen befruchten. Die Jungfische verlassen nach wenigen Wochen die schützende Muschelheimstätte. Der Bestand dieser gefährdeten Fischart ist also auch vom Vorkommen von entsprechenden Muscheln abhängig. Wenn man bedenkt, dass diese Fische wichtige Nahrung für Wasserinsekten, Raubfische, Schlangen und Vögel, wie etwa für den Eisvogel, sind, erahnt man auch die komplexen Folgen, die das Verschwinden einzelner Akteure hat.
Vorkommen und Schutz der Großmuscheln in der Lobau
Die Flussperlmuschel (Margaritifera margeritifera) ist auf nährstoffarme Fließgewässer der Forellenregion des Wald- und Mühlviertels beschränkt und findet in den Donauauen keinen geeigneten Lebensraum. Folgende vier heimische Großmuscheln können in der Lobau vorkommen: Aufgeblasene Flussmuschel (Unio tumidus), Malermuschel (Unio pictorum), Große Teichmuschel Anodonta cygnea, und Gemeine Teichmuschel Anodonta anatina.
Zudem könnten bei optimierten ökologischen Bedingungen zwei weitere heimische Arten hier leben. Aus einem „Donaualtwasser“ bei Mühlleiten (Untere Lobau) wurde 1973 von Peter Reischütz ein Fund der vom Aussterben bedrohten Gemeinen Flussmuschel (Unio crassus) gemeldet. Und von der ebenfalls bedrohten Abgeplatteten Teichmuschel (Pseudanodonta complanata) wurde 2020 eine alte Leerschale nur wenige Meter außerhalb der Wiener Lobau gefunden (Duda et al. 2023), in einem „Altwasser“ bei Orth an der Donau, Niederösterreich gibt es zudem jüngere Nachweise frischer Leerschalen dieser Art (Fischer 2022; vergleiche auch Reischütz 1973).
Abgesehen von den zu Beginn genannten Ergebnissen des Projektes „Mollusken der LE-Gebiete Wiens“, das alle Schnecken und Muscheln der “ländlichen Gebiete Wiens” im Zeitraum 2020-2021 erfasste (Duda et al. 2023), liegt die letzte Kartierung, die speziell auf Großmuscheln in den Wiener Gewässern fokussiert war, 17 Jahre zurück. Bereits sie zeichnete ein Bild vom drastischen Rückgang der Häufigkeit der Großmuscheln in der Lobau, aber vermeldete immerhin noch Funde der oben genannten vier heimischen Großmuschelarten, von denen aber die Aufgeblasene Flussmuschel nur mehr in Form von Leerschalen festgestellt wurde (Ofenböck & Riegler 2007).
Die Arten A. cygnaea, U. pictorum und U. tumidus sind in der Wiener Naturschutzordnung als streng geschützt geführt, U. tumidus ist zudem als prioritär bedeutend eingestuft (Ofenböck & Riegler 2007). In einem 2009 publizierten Bericht von Fischer et al. (2009) über die Süßwassermollusken Wiens, konnten von allen vier heimischen Großmuscheln zumindest noch Leerschalen festgestellt werden, die invasive Chinesische Teichmuschel (Sinanodonta woodiana) hingegen noch nicht.
Zuletzt wurden in der Lobau nur mehr die Gemeine Teichmuschel sowie die Chinesische Teichmuschel für die Lobau lebend gemeldet (Duda et al. 2023). Die Chinesische Teichmuschel steht in Konkurrenz zu den heimischen Arten und ist aus diesem Grund ebenfalls von besonderem Interesse für den Natur- und Artenschutz.
Rückkehr der Muscheln?
Doch es besteht Hoffnung, dass nicht alles verloren ist. In den zwei vergangenen Jahren wurden bei diversen Begehungen, bei Niedrigwasser, in der Oberen und Unteren Lobau Überreste von Teich- und Flussmuscheln gefunden. Da die Schalen teilweise einen guten Erhaltungszustand aufwiesen, muss nicht unbedingt von „subfossilen“ Überresten aus früheren Zeiten ausgegangen werden.
Da sich die Muschellarven an Fischen entwickeln und mit ihnen verbreitet werden, ist eine Besiedelung der Lobaugewässer sowohl aus den verbliebenen reproduktiven Populationen als auch mittels Einwanderung und Einbringung von Fischen aus geographisch möglichst nahe gelegenen Gewässern gleichen Typs durchaus denkbar (Patzner & Müller 1996), sofern geeignete Umweltbedingungen geschaffen werden.
Bezüglich des ökologischen Stellenwerts und der Gefährdung der Muscheln sowie in Hinblick auf neue Möglichkeiten, die Lobau mit Wasser zu speisen, wäre es von größtem Interesse, den gegenwärtigen Status der Vorkommen von Großmuscheln in den Gewässern der Lobau zu kennen. Eine detaillierte Kartierung der Großmuscheln der Lobau wäre wünschenswert, da sie nicht nur Aufschluss über die überlebenden Bestände der einzelnen Arten gäbe, sondern auch Hinweise für Maßnahmen zu ihrem Schutz. Die Ergebnisse sollten eine Grundlage für Empfehlungen zur Optimierung ihrer Lebensbedingungen im Speziellen und des Ökosystems im Allgemeinen sein.
1 Der Name kommt aus der griechischen Mythologie, wo die Najaden Nymphen sind, die über Quellen, Bäche, Flüsse, Sümpfe, Teiche und Seen wachen. Trocknete das Gewässer einer Najade aus, so musste sie sterben (Wikipedia)
Weiterführende Literatur
Daill D., Pichler-Scheder C., Csar D., & Gumpinger C. (2024): Gewässer im Ausnahmezustand – die dramatische Situation der Süßwassermuscheln in Österreich. Acta ZooBot Austra 160: 55-76. Download
Duda M., Schubert H. C., Reischütz A., Eschner A., Schnedl S-M., Sattmann H. & Haring E. (2023): The mollusc fauna of the Lobau (Nationalpark Donau-Auen, Viennese part) over time – past, presence and future perspectives. Acta ZooBot Austria 159: 137-154. Download
Fischer W, Reischütz A., Duda M. (2009): Beiträge zur österreichischen Molluskenfauna XVI. Anmerkungen zur Süßwassermolluskenfauna Wiens. Nachrichtenblatt der Ersten Vorarlberger Malakologischen Gesellschaft 16: 5-20.
Fischer W. (2022) Beiträge zur Kenntnis der österreichischen Molluskenfauna LXXVI. Pseudanodonta complanata (Rossmässler 1835) aus der Donau bei Orth an der Donau. Nachrichtenblatt der Ersten Vorarlberger Malakologischen Gesellschaft 29: 23-26.
Ofenböck T. & Riegler C. (2007): Erhebung und Einschätzung des Erhaltungszustandes der in Anhang II, IV und V der FFH-Richtlinie, sowie in der Wiener Naturschutzverordnung genannten und in Wien vorkommenden geschützten Muscheln und Flusskrebs-Arten. Magistratsabteilung 22 – Umweltschutz. Download
Patzner R. A. (2004) Großmuscheln und ihre Wirtsfische. Österreichs Fischerei 57 (11/12): 278-281. Download
Patzner R. & Müller D. (1996): Gefährdung und Rückgang der Najaden-Muscheln (Unionidae, Bivalvia) in stehenden Gewässern. Berichte der Bayerischen Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (ANL) 20: 177-196. Download
Reischütz P.L. (1973): Die Molluskenfauna der Wiener Augebiete. Mitteilungen der deutschen malakologischen Gesellschaft 3(25): 2-11. Download
Zieritz A., Sousa R., Aldridge D. C., Douda K., Esteves E., Ferreira-Rodriguez N., Mageroy J. H., Nizzoli D., Österling M., Reis J., Riccardi N., Daill D., Gumpinger C. &. Vaz A. S. (2022) A global synthesis of ecosystem services provided and disrupted by freshwater bivalve molluscs. Biological Reviews 97(5): 1967-1998. Download