Im Juni 1948 erschien in der Zeitschrift „Natur und Land“ eine melancholisch-begeisterte Beschreibung der Lobau in den Jahren vor dem ersten Weltkrieg – verbunden mit einem verzweifelten Aufruf zur Rettung der Wiener Auwälder.
Der Autor dieser Zeilen ist der 1882 in Ottakring geborene Pilzkundler Thomas Cernohorsky, 1919 Mitbegründer der „Gesellschaft der Pilzfreunde“, heute „Österreichische Mykologische Gesellschaft“. Cernohorsky war nicht nur für sein Fachwissen bekannt, sondern auch für sein gerades, offenes Wesen und seine menschliche Anteilnahme.
Im Artikel „Mein Gang um Frühlingspilze“ (1948) bezieht er sich auf den gravierenden Wandel, den die Wiener Donauauen in den Jahrzehnten davor über sich ergehen lassen mussten:
„Es war noch vor dem ersten Weltkrieg. Man stieg in die Straßenbahn und fuhr mit ihr, oder ein paar Stationen weit mit der Eisenbahn, entlang der Donau und schon war man am Ziel: überall dehnten sich dichte, üppige Auwälder. Hatte man erst das Glück, ein Fischerboot zu erreichen und über den Strom zu setzen, so gelangte man in urwaldähnliche Aubestände der Lobau.“
„Herrgott, wie sah es damals dort aus! Eine Welt voll Urnatur, Üppigkeit, Urkraft und Schönheit! Nur bescheidene, heimliche Jagdsteige und zahlreiche Hochwildwechsel durchquerten die Dickungen und Wälder. Prächtige, lianenverschlungene Hochwälder aus Pappeln und Weiden wechselten mit Erlenbrüchen und Sanddornbüschen. Stille versumpfte Wassergräben und weite offene Altwässer durchzogen nach allen Richtungen dieses Waldland.“
„Dazwischen lagen trockene Schotter- und Sandflächen und große freie Auwiesen, auf denen Rudelweise Hirsche ästen, Fasane und Bronzeputer umherliefen. Ja, damals war die Au noch voller Wild, Bäume, Blumen und – Pilze. Hier suchte ich im April, Mai, oft noch früher meine erste Pilzernte des Jahres.“
„Verschwunden ist der Wald von Langenzersdorf, wo ich vor 30 Jahren noch Morcheln erntete, verschüttet sind die Auen von Strebersdorf, vernichtet fast die Waldbestände an der Alten Donau und versiegt sind viele, allzu viele Gewässer in der Au.“
„Die Praterau liegt bereits in den letzten Zügen, die Klosterneuburger Auen liegen in Agonie — wer rettet die Lobau, die an dem Bau des Donau—Oderkanals, durch Ölraffinerien und planlose Siedlung u. a. m. schwer erkrankt ist?!”
„Dabei hätte die Großstadt Wien ihre Auen so nötig, wie ein Mensch nur überhaupt einen Garten, Park oder Wasser für seine Gesundheit nötig hat. Spricht man vom Wienerwald als der „Lunge der Großstadt“, so muß ebenso berechtigt die Au als ein „Lungenflügel“ Wiens bezeichnet werden, der mit jedem Atemzug ozonreiche Luft in die stauberfüllten Straßen und Plätze pumpt.“
„Josef Schöffel rettete einst in letzter Minute den Wienerwald und erhielt sich den unvergänglichen Dank der Großstadt und ihrer Erholung suchenden Bevölkerung. Wer, Staat oder Wien, Gesetz oder Körperschaft, Bürgermeister oder begeisterte Persönlichkeit rettet in letzter Stunde die Auen bei Wien?“
Thomas Cernohorsky, Vizepräsident und Ehrenmitglied der Österreichischen Mykologischen Gesellschaft, verstarb 1956 im 74. Lebensjahr an einer Lungenembolie.
(Anmerkung: “Bronzeputer” sind ein Farbschlag der ab 1871 entlang der Donau ausgewilderten amerikanischen Truthühner)