Bisher galt die Bürgerinitiative gegen den Bau einer Straßenbrücke über den Neusiedlersee als erste österreichische Bürgerinitiative. Ein Vergleich der Chroniken zeigt jedoch, dass „Lobau darf nicht sterben!“ deutlich früher ins Leben gerufen wurde. Initiator war der Polizist Anton Klein, der spätere Gründer des Lobaumuseums. Entstanden ist sie 1970 im Dunstkreis des Wiener Aquarienvereins „Zierfischfreunde Donaustadt“.
Der Kampf gegen das Brückenprojekt über den Neusiedlersee begann im Februar 1971 mit der ersten Planung von Aktivitäten. Ende März wird im Kinosaal von Neusiedl am See das “Komitee zum Schutze des Neusiedler Sees” gegründet. Die Initiative war erfolgreich, die Brücke über den See wurde verhindert.
Der Kampf um die Rettung der Lobau begann schon 1970, also ein halbes Jahr davor; obwohl es rund um die Lobau eigentlich schon 1968 zu brodeln begann. Damals sorgten sich die Aquarienliebhaber des Vereins „Zierfischfreunde Donaustadt“ um die immer weniger werdenden Tümpel, aus denen sie das Futterplankton für ihre Fische gewannen. Einige ergiebige Tümpel standen obendrein im Besitz der Stadt Wien und durften nicht ohne Erlaubnis nach Plankton „befischt“ werden.
Also schrieb Anton Klein im Namen der Mitglieder seines Vereines und jener des „Verbandes der Aquarien- und Terrarienvereine“ an den Wiener Bürgermeister Bruno Marek und forderte das Vertiefen verlandender Tümpel in der Lobau, im Prater und in Albern, das Anlegen von neuen Tümpeln auf der geplanten Donauinsel und das Zugeständnis der Stadt, es Aquarianern in Zukunft zu erlauben, in den Teichen der städtischen Parkanlagen Wasserflöhe, Ruderfußkrebse und anderes Plankton zu erbeuten.
Marek antwortete, es kam am 17. Juli 1969 zu einem Treffen Wiener im Rathaus und in Folge dessen zu unproduktiven Gesprächen mit Vertretern des Magistrats. Und damit hatte es sich auch schon. Klein und seine Gesinnungsgenossen waren enttäuscht („ablehnende Antworten und leere Versprechen“), beschlossen aber, nicht locker zu lassen.
In der von ihm in Eigenregie hergestellten Vereinszeitschrift „Das Steckenpferd“ beklagte sich Anton Klein über die abweisende Reaktion des Magistrats.
An Zusammenarbeit war offenbar nicht zu denken: „Unter Zusammenarbeit verstehe ich auch die Einbeziehung der Bevölkerung im Kampf für den Schutz der heimischen Natur. Ohne ihre Mithilfe und Unterstützung wird nicht viel aus dem Naturschutz werden! Er ist ein Bekenntnis des Herzens und nicht der Lippen und erfordert Taten, denn nicht umsonst kommt Goethes Faust bei der Bibelübersetzung zu der Erkenntnis: Im Anfang war die Tat.“
Und weiter: „Die Lobau und das Marchfeld dürfen nicht sterben, und auch der Prater muss uns erhalten bleiben!“
Am 14. November 1969 versuchte der Verein erstmals an die Öffentlichkeit zu gelangen und schrieb an die Kronen-Zeitung einen Brief mit der Bitte um Unterstützung. Er blieb unbeantwortet. Ans Aufgeben dachte man nicht.
Im darauffolgenden Frühjahr, am 19. April 1970, veranstalteten die Zierfischfreunde Donaustadt unter der Führung der angehenden Zoologen Richard Gemel, Peter Reischütz und Lothar Girolla eine Tümpel- und Fototour in die Lobau. Das Motto: „Es muss nicht immer Afrika sein, auch die Lobau ist voller Wunder!“
Nun wuchs der Heilige Zorn auf die Obrigkeit von Woche zu Woche.
In der Juli/August-Ausgabe 1970 der Vereinszeitschrift wird die Initiative erstmals eindeutig deklariert: Unter dem Überbegriff der Aktion „Schutz der Wiener Aulandschaft – Rettung der Tümpel“ taucht auch erstmals der kompakte Slogan „Die Lobau darf nicht sterben!“ auf, der wenige Monate später als einzige Schlagzeile übrig blieb.
Klein bringt nun die Sache auf den Punkt: „Die Lobau ist kein Siedlungs- oder Industriegebiet, sie ist nicht nur das schönste Augebiet Mitteleuropas und damit unersetzliches Kulturgut unseres Landes, sondern ein lebenserhaltendes Luftreservat der Wiener! Die Lobau ist ebenso wertvoll wie der Wienerwald! Durch ihre einzigartige Fauna und Flora übertrifft sie ihn diesbezüglich sogar.“
Am 19. Oktober 1970 versammeln die „Zierfischfreunde“ im Kellerlokal ihres Vereins in der Wagramerstraße einige junge engagierte Wissenschaftler, um die Initiative gegen die Zerstörung der Wiener Aulandschaft mit Nachdruck ins Laufen zu bringen: den Chemiker und Ökologen Peter Weish, sowie die Zoologen Franz Luttenberger und Hans Martin Steiner. Unterstützung erhalten sie vom Höhlenkundler und Prater-Spezialisten Josef Vornatscher und vom Zoologen und Aquarianer Alfred Radda.
Die Überschrift der ersten Aussendung lautet: „Wien braucht die Lobau und den Prater genau so dringend wie den Wienerwald.“ Die darin enthaltenen Forderungen:
- Schaffung eines unabhängigen, nicht weisungsgebundenen Naturschutzbeirates der Stadt Wien, in dem Biologen, die über ökologische Erfahrungen verfügen, die Mehrheit besitzen sollen.
- Sofortiger Stopp jeder weiteren Ausbreitung der Erdölindustrie, der Hafenanlagen, der Pumpwerke, der Durchleitung weiterer Hochspannungsleitungen und Pipelines durch die Lobau.
- Die Lobau muss Vollnaturschutzgebiet werden.
Damit nahm die Sache ihren Lauf: Dem Obmann eines Aquarienvereins und einem Häufchen von Mitgliedern, unterstützt von jungen Wissenschaftlern, gelang es, die Öffentlichkeit wachzurütteln und die Lobau vor weiterer Verbauung zu retten. Sie sammelten Zehntausende Unterschriften, Anton Klein wurde ab 1972 gewissermaßen zum Zeitungs- und Fernsehstar und gründete – zu diesem Zeitpunkt bereits mit Unterstützung des WWF und des Naturschutzbundes – das „Lobaumuseum“.
Die Geburtsstunde der Initiative war demnach – je nach Lesart – der Sommer oder der Oktober 1970 – in jedem Fall Monate vor den ersten Aktivitäten des Komitees zum Schutz des Neusiedlersees.
Damit erweist sich „Lobau darf nicht sterben!“ als erste aus der Mitte der Gesellschaft entstandene, österreichische Bürgerinitiative.
Quellen:
Klara Köttner-Benigni: „Der steinige Weg zum Nationalpark“, in “Volk und Heimat” – Zeitschrift für Kultur und Bildung des Volksbildungswerks für das Burgenland, Jahrgang 49, Ausgabe 3/94 (S. 10)
“Das Steckenpferd – Fibel für Aquarianer und Terrarianer”, Jahrgänge 1969 und 1970