Am Sonntag, dem 26. April 1925, veröffentlicht die linksliberale Tageszeitung „Der Tag“ unter dem Titel „Reise in die Wiener Dschungeln“ einen Artikel über die Lobau. Als Autor wird Arnold Höllriegel angegeben – ein Pseudonym, hinter dem sich der Wiener Reiseschriftsteller und Journalist Richard A. Bermann verbirgt.
Er beginnt seinen Text mit dem Hinweis, dass es ihm ähnlich sähe, Delhi vor Salzburg, Kairo vor Klagenfurt und den Amazonas vor der Lobau kennengelernt zu haben.
Dann erliegt er dem Zauber der Landschaft und schildert sie in einer Weise, wie es in unseren Tagen niemand mehr zu formulieren wagt. In der aktuellen Auseinandersetzung um die Rettung der Lobau scheinen ideeller Wert und Magie keine Rolle mehr zu spielen.
Richard Bermann beschreibt es als Wunder, „dass in allernächster Nähe einer großen Stadt wie Wien eine richtige Dschungel-Insel liegen kann … kein Menschenland, ein Land der tierischen Kreatur und der Pflanzenwildnis.“
„Wie wir so, hinter einem braven, alten Oberförster drein, durch den Flusswald der Lobau gingen, erst zu der Stelle, wo die vielen Reiherhorste sind, dann zu den Lichtungen, auf denen die Hirsche äsen, versuchte ich mir einen Mann auszumalen, dem das alles wunderbar exotisch vorkäme, dem eine Erle so fremdartig wäre, wie mir ein Mangrovebaum, ein Hirsch so fremdartig, wie mir eine Antilope – und da erst begriff ich, wie wildromantisch diese Lobau ist, wie voll von Wundern und Geheimnissen.“
In der Lobau, so stellt er fest, würde man etwa auf Schritt und Tritt Käfer sehen, die man anderswo nicht sähe, und:
„In den Tümpeln sind Fische, in den Lüften kreisen herrliche Reiher. Nicht einmal ein Großstädter kann hier herumgehen, ohne fortwährend die Gegenwart von Hirschen, Rehen und Fasanen zu bemerken, ein Lugen von tausend Tieraugen, ein Huschen und Rascheln im Gebüsch, den Gesang der Vögel. Das alles gibt es quer über den Strom kaum mehr.“
„Eine moderne Stadt, das ist die große steinerne Höhle, die das Menschentier sich so eingerichtet hat, dass es dort möglichst fressen kann, ohne gefressen zu werden. Aber ganz dicht neben der Stadt Wien liegt noch die Lobau.“
Dann fragt sich Bermann, wie es wohl einem Falken, einem Reiher oder einem Kormoran erginge, würde er, aus der Lobau kommend, über die Stadt fliegen. Wahrscheinlich würde er, so die Vermutung, “über die Schrecken der großen, steinernen Wildnis erzählen”, denn „Hier hebt das letzte Ende aller Kreaturen an und die schließliche Verödung unserer Erde, die einst ganz steinern sein wird und einsam, wie die Oberfläche des Mondes.“
„Die große Lektion der Lobau lautet: Es gibt noch ein anderes Leben neben dem menschlichen.“
Richard Bermann war einer der führenden deutschsprachigen Journalisten. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde er aufgrund seiner jüdischen Herkunft arbeitslos und seine Schriften wurden verboten. 1938 gelang ihm die Flucht in die USA. Er starb dort am 5. September 1939 im 57. Lebensjahr.
Mit dem Zauber der Natur ist heute – im Gegensatz zu 1925 – nichts mehr zu gewinnen. Der Wiener Alltag wird von Machtspielen und Bürokratie bestimmt. Die Stadtregierung und ihre Zuträger sehen der Lobau mit tausend guten Ausreden beim Sterben zu.
Titelfoto: Hochwasser in der Unteren Lobau, 24. August 1930 (Archiv Lobaumuseum)
Landschaftsfoto im Text: Fasangartenwasser 1927 (Archiv Lobaumuseum)